Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
unterrichtete, sind schon vor einigen Jahren gestorben.« Anns Stimme klang ganz sachlich. Trotzdem fragte sich Adela, ob sie sich nicht sehr einsam fühlen musste.
»Und deine Mitgift? Sie ist doch sicher irgendwo verzeichnet?« Adela erinnerte sich, dass ihre Eltern dem Kloster eine Geldsumme und einen Acker übertragen hatten. Der Orden forderte von jeder Frau, die in eines seiner Klöster einzutreten wünschte, eine Schenkung, so war es allgemein Brauch.
»Als ich erfuhr, dass Héloise de Thorigny unsere Äbtissin werden würde, habe ich über meinem Namen in dem Schenkungsbuch Tinte ausgegossen, so dass er unleserlich wurde.« Ann lachte und für einen Moment verwandelte sie sich wieder in die unbekümmerte junge Frau, die sie einmal gewesen war. Gleich darauf wurde sie jedoch wieder ernst. »Bei meiner Profess habe ich vor Gott diesem Kloster die Treue geschworen. Niemand wird mich von hier vertreiben. Nicht der König und erst recht nicht William de Thorigny.« Ein halsstarriger Zug erschien um ihren Mund, der Adela aus gemeinsamen Kindertagen nur zu vertraut war. Auch wenn sie die Entscheidung der Schwester nicht guthieß, war sie trotzdem froh darüber, dass das Ordensleben Ann nicht in ein willenloses Wesen verwandelt hatte.
»Aber um mich geht es jetzt doch gar nicht.« Ann schüttelte ungeduldig den Kopf. »Was zählt, das seid ihr, du und Luce. Hast du dir schon einmal überlegt, bei Nicolas Zuflucht zu suchen? Er hat den König immer sehr verehrt und hat sich bestimmt nicht an dem Aufstand beteiligt.«
Adela nahm wahr, wie eine Biene brummend an den Regalen voller Tongefäße entlangflog. Sie hatte so sehr gehofft, in der Umgebung des Klosters für sich und Luce eine neue Heimat zu finden. Sie wusste nicht, wie sie die Kraft finden sollte, noch einmal ins Ungewisse aufzubrechen. »Der Weg nach Südengland ist weit und in diesen Tagen sehr gefährlich«, meinte sie leise. »Ich würde es nicht ertragen, wenn Luce etwas zustoßen sollte. Außerdem muss er sich unbedingt eine Zeit lang schonen. Wir können nicht sofort wieder aufbrechen.«
Ann streichelte wieder ihre Hände. »Für ein paar Tage kann ich euch verstecken. Zu einem der Klosterfelder – es ist recht abgelegen – gehört eine Hütte, die die Bauern als Unterstand nutzen. Das Feld ist schon abgeerntet. Deshalb wird wohl kaum jemand dort auftauchen. Und von den Nonnen geht nur ganz selten einmal eine zu dem Acker.«
»Ja, es wäre schön, wenn wir erst einmal in dieser Hütte bleiben könnten.« Adela wurde es ein bisschen leichter ums Herz.
»Gut, dann hole ich etwas zu essen für euch.« Ann stand auf. »Warte hier auf mich. Ich werde nicht lange fort sein.«
*
Der Duft der Kräuter und der Rauch der glimmenden Kohlen machten Adela schläfrig, und sie nickte ein. Einmal glaubte sie, Glocken läuten zu hören. Schritte ließen sie hochschrecken. Doch zu ihrer Erleichterung war es nur Ann, die mit einem Korb am Arm in die Hütte trat.
»Luce, hast du gesagt, leidet an einem Husten?« Ann ging zu einem der Regale, griff nach einem großen bauchigen Tongefäß und goss eine intensiv nach Salbei und Thymian riechende Flüssigkeit in eine kleine Tonflasche, die sie mit einem Korken verschloss. »Das dürfte dem Jungen helfen.« Sie legte die Flasche und einen Tiegel in ihren Korb. Danach reichte sie Adela einige grobe Wolldecken, die in einer Ecke der Hütte gestapelt waren. »Kannst du die tragen? Gut, dann lass uns aufbrechen. Es trifft sich gut, dass sich gerade alle meine Mitschwestern zum Nachmittagsgebet in der Kirche aufhalten.«
Rasch beschrieb Adela Ann, wo Gerard und Luce lagerten. Als sie nach draußen schlüpften, stand eine blasse gelbliche Sonne am Himmel. Doch eine dunkle Wolkenwand im Süden kündigte neuen Regen an. Ann geleitete Adela durch den Garten und zu einer Pforte in der Klostermauer. Eine Weile liefen sie am Flussufer entlang, bis sie zu einem Steg kamen. Der schmale Weg auf der anderen Seite führte in einen lichten Mischwald. Auch hier waren die Bäume schon bunt verfärbt. Pilze wuchsen im Unterholz, und das feuchte Laub am Boden verströmte einen leicht modrigen Geruch.
Ann ging schnell und schien keine Schwierigkeiten zu haben, sich auf den Pfaden zu orientieren. Wahrscheinlich ist sie oft hier unterwegs, um Heilpflanzen zu sammeln , ging es Adela durch den Kopf. Vielleicht ist sie auch manchmal einfach froh, auf diese Weise dem Kloster entkommen zu können. Ach, sie wusste nur noch so wenig von ihrer
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