Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
»Natürlich könnt Ihr Euch hier aufwärmen. Und auch über Nacht könnt Ihr bleiben. Das Wetter ist wirklich furchtbar. Kommt, setzt Euch ans Feuer. Wollt Ihr eine heiße Suppe haben?«
»Ja, gerne.« Adela ließ ihren nassen Mantel von den Schultern gleiten. Dankbar spürte sie, wie die Hitze der Flammen in ihre Glieder kroch. Gleich darauf stellte die Frau – sie hatte runde dunkle Augen und eine kleine Knopfnase, was Adela an einen Igel denken ließ – einen Teller mit Brot und eine Holzschale vor sie. Die dampfende Lauchsuppe darin war sämig und mit Speck angereichert.
»Oh, und guter Hoffnung seid Ihr auch noch.« Die Bäuerin betrachtete sie mitfühlend.
»Ich bin unterwegs zu Verwandten. Morgen müsste ich endlich bei ihnen sein«, sagte Adela zwischen zwei Bissen.
Die Frau setzte sich auf die Bank ihr gegenüber. »Ihr hört Euch gar nicht an wie die Leute hier aus der Gegend.«
»Während der letzten Jahre habe ich in der Normandie gelebt. Wahrscheinlich hat sich dadurch meine Sprache verändert.«
»Ich hoffe, Ihr habt nicht unter dem Krieg zwischen dem König und den beiden Prinzen zu leiden gehabt. In manchen Gegenden sollen die Heere ja schlimm gehaust haben.«
»Nein, ich und meine Familie hatten Glück«, log Adela, während sie auf die rissige Tischplatte starrte. »Der Krieg zog an uns vorbei.« Sie wollte nicht mit dieser Fremden über ihr Schicksal reden. Die Suppe schmeckte ihr plötzlich nicht mehr.
»Nun, hier steht auch nicht alles zum Besten.« Die Bäuerin seufzte. »Vor ein paar Wochen, gleich nach Neujahr, haben Soldaten des Königs ein Anwesen in der Nähe besetzt. Angeblich – so habe ich sagen hören – soll der Gutsherr sich an einer Verschwörung gegen den König beteiligt haben. Aber das glaubt nicht jeder in der Gegend. Und ich auch nicht. Denn der Mann galt immer als königstreu. Schließlich hat seine Familie das Gut auf Veranlassung der Königinmutter Matilda von der Familie de Thorigny zurückerhalten. Und jetzt haben es wieder die de Thorignys in Besitz genommen.« Die Bäuerin schüttelte bedauernd den Kopf. »Der frühere Gutsherr soll ein freundlicher und gerechter Mann gewesen sein. Was man von William de Thorigny wohl nicht behaupten kann.«
Sie stand auf und widmete sich wieder ihrem Teig.
»Was geschah mit dem früheren Gutsherrn?«, hörte sich Adela flüstern.
»Er wurde getötet, als er versuchte, seinen Besitz zu verteidigen.« Die Bäuerin seufzte wieder. Der säuerliche Geruch des Teigs legte sich wie ein schweres Tuch über Adelas Nase. Sie glaubte, daran zu ersticken. Die Küche begann sich um sie zu drehen.
Sie nahm noch wahr, wie die Bäuerin erschrocken aufschrie: »O Gott. Was ist denn mit Euch?« Dann verlor sie die Besinnung.
Kaltes Wasser auf ihrem Gesicht weckte Adela. Als sie die Augen aufschlug, sah sie verwundert, dass sie auf dem Boden lag und sich die Bäuerin über sie beugte. Die Frau hielt einen nassen Lappen in der Hand. »Habt Ihr denn den Gutsbesitzer gekannt, oder seid Ihr etwa gar mit ihm verwandt?«, fragte sie besorgt.
Augenblicklich kehrte Adelas Erinnerung zurück. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht laut aufzuschreien, und wandte ihr Gesicht ab. Nein, sie konnte der Bäuerin nicht sagen, wie es um sie stand. Sie würde ihr Mitleid nicht ertragen. »Mich hat wohl einfach die plötzliche Wärme schwindelig werden lassen«, flüsterte sie. »Außerdem hat das Kind mich getreten. Das hat sehr wehgetan.«
»Ja, ich habe vier Kinder zur Welt gebracht und weiß, wovon Ihr sprecht.« Die Bäuerin nickte. Trotzdem war ihr Blick ein wenig zweifelnd.
Schwerfällig richtete sich Adela auf. »Ich muss jetzt weitergehen. Aber ich danke Euch für Eure Hilfe.«
»Wollt nicht noch eine Weile hierbleiben? Wie ich schon sagte, Ihr könnt auch gerne hier schlafen. In Eurem Zustand solltet Ihr Euch nicht zu viel zumuten«, meinte die Bäuerin freundlich.
»Mir geht es wieder gut«, versicherte Adela. »Ich möchte vor Anbruch der Dämmerung noch einige Meilen weiterkommen.«
Nachdem sie sich hastig verabschiedet hatte, folgte sie dem Trampelpfad, den sie vorhin hinunter zum Dorf genommen hatte. Doch oben auf dem Hügel blieb Adela stehen. Als sie gehört hatte, dass William de Thorigny nun auch ihren Bruder Nicolas getötet hatte, war ihr erster Impuls gewesen zu flüchten.
Aber nun spürte sie, dass sie nicht einfach so weitergehen konnte. Niemand wusste, dass sie sich hier in der Gegend aufhielt, und die Bäuerin, auch wenn sie
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