Die Rache der Horden
Roum eine Zeitlang länger überleben.
Wir brauchen Zeit, kostbare Zeit! Da tauchte wieder diese andere Idee auf, die sich seit seinem Gespräch mit Juri geformt hatte. Nach wie vor bereitete sie ihm in gewisser Weise Kummer, und zwar solchen Kummer, dass er noch mit niemandem darüber gesprochen hatte. Aber er brauchte Zeit!
Er hatte das Gefühl, dass Hans’ alte Augen auf ihm ruhten und auf den Blitz der Einsicht warteten – wie damals in Antietam, als die Rebellen von drei Seiten angestürmt waren.
»Mein Junge, Sie sollten unsere Jungs lieber hier herausführen«, hatte Hans gesagt.
»Gott verdamme es!«
Kai drehte sich zum Waggon um. Andrew wandte sich schon ab, stieß die Tür auf und betrat wieder die Kabine.
»Ich sollte jetzt lieber wieder hineingehen, Jungs«, sagte Kai, tätschelte einem Trommler den Kopf und schüttelte einem alten graubärtigen Hauptmann die Hand, den er schon als Wachmann in Iwors Gefolge gekannt hatte.
»Was wird aus uns?«, fragte ein junger Schütze, auf dessen Gesicht sich gerade der erste Flaum bildete.
»Na, wir siegen natürlich«, antwortete Kai lächelnd. »Das verspreche ich euch. Falls ich mich irre, könnt ihr ja bei der nächsten Wahl einen anderen Präsidenten wählen.«
Die Männer lachten nervös, als er sich abwandte.
Er stieg auf die Waggonplattform und ging wieder hinein. Damit unterbrach er, was sich gerade zu einem Streit zwischen Andrew und John auswuchs.
Andrew blickte zu Kai auf.
»Sie sollten lieber verdammt noch mal das Richtige gesagt haben«, erklärte er.
»Womit?«
»Dass Sie mich nicht feuern werden.«
Kai lächelte, sagte aber nichts.
»Ich schicke Sie sofort nach Roum«, sagte Andrew. »Wir organisieren dazu einen Expresszug. Ich denke, Marcus muss die Entscheidung persönlich hören und einwilligen, ehe ich sie bekannt gebe. Falls er einwilligt, möchte ich, dass Sie sofort hierher zurückkommen, möglichst mit ihm zusammen. Sie können Hin- und Rückfahrt in zwei Tagen schaffen, falls wir die Strecke offen halten und Ihren Wagen an die schnellste Lokomotive hängen.«
»Aber wozu genau soll ich nun den Botenjungen spielen?«, fragte Kai, und sein Tonfall drückte schon Einverständnis aus, ehe er auch nur erfahren hatte, worum genau es ging.
Andrew erklärte es ihm, obwohl John schimpfte, ein Erfolg wäre ausgeschlossen.
Kai blickte John an.
»Eine Niederlage ist genauso ausgeschlossen. Sehen wir zu, dass wir diesen Zug auf die Reise bringen. Ich habe eine Botschaft zu überbringen.«
»Du meinst, du hast deine gesamte Horde über diesen elenden Pfad geschleust?«
Muzta nickte und blickte nach rechts und links des breiten Weges, inzwischen von einer Bahnstrecke durchschnitten, die in den Wäldern dahinter verschwand.
»Das erste Umen konnte achtzig Kilometer am Tag schaffen«, sagte er. »Aber danach ging es langsamer, denn der Weg wurde zu Schlamm aufgewühlt. Es dauerte fast sieben Tage, all meine Umen an die Neiperfurt zu bringen.«
Der Schlamm.
Jubadi beugte sich vor und betrachtete den Erdboden. Sein Pferd stand bis auf halbe Höhe des Fesselgelenks im Matsch, nachdem das erste Umen den Weg schon zu einer dicken Suppe aufgewühlt hatte.
»Und die Horde hinter uns?«, fragte Hulagar.
Muzta schüttelte lächelnd den Kopf.
»Wir hatten nur ein Drittel eurer Stärke und brauchten trotzdem einen Monddurchgang, um die mehr als hundertfünfzig Kilometer Wald zu durchqueren, den Fluss zu überwinden und die Steppe hinter Suzdal zu erreichen. Es ist so schlimm wie ein Gebirgspass, in mancher Hinsicht noch schlimmer.«
»Ich hatte nicht erwartet, dass es so schwierig sein würde«, flüsterte Jubadi.
»Wir haben nicht mit dem Regen gerechnet«, schniefte Vuka und blickte zum Laubdach empor, aus dem immer noch Feuchtigkeit tropfte. »Es ist der Matsch, der uns aufhält. Wenn es erst mal wieder trocken ist, kommen wir schneller voran.«
Muzta lenkte das Pferd auf das Gleisbett hinauf, und es rutschte an der Böschung immer wieder aus, bis es endlich auf der Kalksteinunterlage der Gleise festen Tritt fand.
»Und sie sind entkommen«, dachte Jubadi bei sich.
Er hatte gehofft, die Sache auf dieser Seite des Flusses zu Ende zu bringen und die Furt ohne Widerstand durchqueren zu können. Diese verdammten Eisenbandmaschinen hatten sie gerettet! Achttausend Leichen waren erbeutet worden, was Jubadis Heerscharen gerade mal vier Tage lang Nahrung bot. Die Einsalzer bearbeiteten gerade das, was nicht sofort verzehrt werden
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