Die Rache der Horden
verloren, und Gregori Basiowitsch ist seit einem Kopftreffer nicht wieder zu sich gekommen.«
»Und Andrew Keane und Pat?«
»Andrew ist erschüttert, schwer erschüttert, meine Liebe. Siehst du, wir werden Suzdal höchstwahrscheinlich noch vor dem nächsten Mond verlieren. Oh, wir werden mit Zähnen find Klauen darum kämpfen, aber die Maus kann nicht standhalten in ihrem Bau, wenn der Wolf richtig tief gräbt.«
»Bist du deswegen hier, Papa?«
»Ich erzähle es dir später. Ich habe nur wenig Zeit. Ich bin heimlich hergekommen. Ich erwarte, bald Marcus zu treffen – er muss es aus erster Hand erfahren und nicht per Telegraf.«
»Alle Welt weiß doch, dass etwas passiert ist. Seit gestern Morgen sind keine Meldungen von der Schlacht mehr gekommen.«
»Auf meinen Befehl hin«, sagte Kai. »Sonst könnte eine Panik entstehen.«
»Es ist beinahe schon so weit.«
»Aber zumindest, meine kleine Rosine, sind du und die Babys vorläufig in Sicherheit.«
Sie hätte am liebsten protestiert, ein Schuldgefühl zum Ausdruck gebracht, wenn sie an Kathleen und all ihre Freunde dachte, aber diesmal war es anders. Es blieb kein Platz für Heldentum, wenn drei Kinder beschützt werden mussten und sich ein viertes schon in ihrem Leib regte.
Lächelnd tastete Kai in der Brusttasche herum und zog ein kleines Päckchen, in ein fleckiges Tuch gewickelt, hervor. Sie öffnete es und legte ein kleines Stück Honigwabe frei.
»Papa, ich bin doch nicht mehr acht!«
»Lass uns das Spiel doch nur noch einmal spielen«, seufzte er. Lächelnd nahm sie einen Bissen und legte ihm den Kopf an die Schulter.
»Wie geht es unserem Vincent?«
»Noch genauso«, wisperte sie.
Kai nickte bedächtig.
»Er ist so distanziert geworden. Die Unschuld …« Sie seufzte und wandte den Blick ab.
»Wir alle verlieren unsere Unschuld. Sogar mein kleines Mädchen hat die ihre verloren.«
»Papa, du weißt, was ich meine. Er hatte etwas Sanftes an sich, ein Staunen über das, was Kesus und Perm geschaffen haben. Es war ihm unmöglich zu hassen.«
»Und jetzt ist er voller Hass?«, fragte Kai.
Sie nickte traurig.
»Dieser Krieg wird noch viel mehr von uns das Hassen lehren, ehe alles überstanden ist«, erklärte Kai mit kalter Stimme. »Vielleicht brauchen wir den Hass auch, um zu siegen. Kesus sagt uns, wir sollen unsere Feinde lieben. Vater Casmar sagt, dass sogar die Merki und die Tugaren Seine Geschöpfe sind.«
»Und glaubst du das?«
»Es fällt mir schwer, wenn sie meine Enkelkinder nehmen und lebendig in die Schlachtgruben werfen.«
»Sag nicht so was!«, flüsterte Tanja und schlug das Kreuzzeichen.
»Es ist nur so, dass der Hass Vincents Seele verzehrt. Der alte Dimitri hat mir erzählt, dass niemand mehr so mit ihm reden kann, wie es früher möglich war. Er ist kalt, reserviert, besessen davon, Merki umzubringen, und erbarmungslos zu jedem, der ihm in diesem Hass nicht das Wasser reichen kann.
Wie ist er zu dir?«
Sie rang sich ein Lächeln ab.
»Er ist müde. Ich denke, unter all dem findet man immer noch den jungen Mann, in den ich mich verliebt habe, der sich davor fürchtet, wie er sich entwickeln könnte. Aber irgendwie hat er sich abgewandt, eine Mauer zwischen uns errichtet. Früher hat er, wenn er nach Hause kam, Klein Andrew an die Hand genommen und mit ihm gebalgt, ist Hand in Hand mit ihm spazieren gegangen, während er jetzt, wenn er kommt, nur noch allein im Dunkeln sitzt.
Und die Träume, Papa, die schrecklichen Träume! Fast jede Nacht wacht er schweißgebadet auf, manchmal mit einem Schrei, manchmal weinend. Ich versuche, ihn dann zu halten, aber er duldet es nicht.«
»Ihm ist so viel widerfahren«, sagte Kai beruhigend. »Aber noch viel mehr wird geschehen, ehe es überstanden ist.«
Er unterbrach sich kurz.
»Ich brauche Männer wie ihn. Ich könnte hundert mehr von dieser Sorte gebrauchen.«
»Du sprichst von deinem Sohn«, flüsterte Tanja.
Er tatschelte ihr Knie.
»›When This Cruel War is Over‹, ich denke, so heißt das Lied, das manche jetzt singen.«
»Wie wäre es mit ›A11 Quiet on the Potomac‹?«
Beide blickten auf und sahen, wie Vincent das Zimmer betrat; der Umhang tropfte noch vom Regen, der mit der Morgendämmerung herangezogen war.
»Ein sehr populäres Lied auf unserer alten Welt.«
»Darüber sollte man keine Scherze machen«, sagte Tanja sanft, stand von den Knien ihres Vaters auf und nahm Vincent Umhang und Hut ab.
»Wir haben gestern Morgen die Potomac-Front verloren«,
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