Die Rache der Horror-Reiter
Fenstersims.
Ich drehte mich etwas und bewegte mich dann nach rechts, wobei ich der Wand mein Gesicht zuwandte und mich mit beiden Händen abstützte. Normal laufen konnte man natürlich nicht, ich mußte mich Zoll für Zoll vorschieben.
Es war gar nicht so einfach, auf der schmalen Unterlage das Gleichgewicht zu halten. Zudem behielt ich den anderen im Auge. Bisher hatte ich von ihm nicht mehr als das flatternde Hosenbein gesehen. Das gab mir Hoffnung, daß mich der Knabe noch nicht entdeckt hatte. Er sollte sich ruhig sicher fühlen, um so größer würde dann die Überraschung werden.
Zum Glück war es still. Ich konnte also hören, wenn Gestein unter meinen Füßen abbröckelte.
Bis jetzt hielt der Sims.
Das nächste Fenster.
Es war verhängt. Durch die Gardine erkannte ich die Umrisse eines Mannes, der hinter seinem Schreibtisch hockte und telefonierte. Dann hatte ich das Fenster passiert.
Weiter.
Die Hälfte der Strecke lag bereits hinter mir, und mein Optimismus stieg.
Dann bekam er einen gehörigen Dämpfer, denn Essex hatte anscheinend lange genug gewartet. Er wollte sehen, was sich tat.
Der Bankdirektor linste um die Säule.
Er sah mich.
Obwohl wir uns bestimmt nicht länger als eine Sekunde anschauten, erkannte ich sein Gesicht, und die Züge prägten sich mir genau ein.
Graues Haar, vom Wind zerzaust, ein dunkelblauer Anzug, Krawatte.
Typisch Banker.
»Kommen Sie zurück!« zischte ich ihm entgegen.
Er dachte gar nicht daran, sondern bewegte sich weiter. Natürlich in die entgegengesetzte Richtung.
Ich warf einen Blick nach unten. Sehr tief war es nicht, aber bei einem Sprung hätte ich mir sicherlich beide Beine gebrochen. Und Essex würde es nicht anders ergehen.
Auf dem Parkplatz stiegen soeben mehrere Personen in einen schwarzen Bentley, der neben dem meinen parkte. Zum Glück schaute keiner an der Rückfront der Bank hoch.
Die Säule verdeckte den Blick auf Essex. Als ich sie erreicht hatte, hörte ich das Klirren.
Der Bankdirektor mußte eine Scheibe eingeschlagen haben.
Er wollte seine Flucht auf eine andere Art und Weise fortsetzen. Ich stieg vorsichtig um die Säule herum und sah zwei Yards entfernt tatsächlich ein zerstörtes Fenster. Es war kleiner als die übrigen. Wahrscheinlich gehörte es zu einer Toilette oder einem Waschraum. Essex war verschwunden.
Dafür vernahm ich die spitzen Schreie, danach einen röchelnden Laut, dann war Stille.
Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken.
Den Schrei hatte eine Frau ausgestoßen. Demnach war Essex auf der falschen Toilette gelandet, aber das folgende Röcheln hatte mir überhaupt nicht gefallen.
Ich hoffte, daß der Atlanter der Person nichts getan hatte.
Als ich vor dem Fenster stand, schaute ich in einen gefliesten Raum. Auf dem Boden lag ein junges Mädchen. Es trug ein knallrotes Kleid. Mit der dunklen Haarfülle erinnerte mich die Kleine an Glenda Perkins. Eine Tür schlug zu, als ich in die Toilette einstieg.
Auf der anderen Seite des Raumes sprang ich zu Boden. Ein Schritt brachte mich neben das Girl. Ich bückte mich, faßte es behutsam an der Schulter und drehte es herum.
Der Horror traf mich unerwartet.
Plötzlich drückte ich das Fleisch an der Schulter zusammen, und im nächsten Moment fühlte ich den Staub unter meinen Fingern.
O Gott…
Das Mädchen fiel auf den Rücken.
Ich schaute in das Gesicht. Eine Skelettfratze starrte mich an. Die gesamte Haut hatte sich aufgelöst.
Hätte es noch eines Beweises bedurft, daß dieser Gordon Essex ein Dämon war, so hatte ich ihn nun bekommen. Er sah sich in die Enge getrieben und ging eiskalt seinen Weg.
Auf menschliches Leben nahm er keinerlei Rücksicht, das sah ich mit grausamer Deutlichkeit. Er hatte ein unschuldiges Mädchen umgebracht, und in mir zerbrach etwas, als ich vor mir den Staub sah, der einmal ein Mensch gewesen war. Ich mußte Essex kriegen, bevor er vollständig durchdrehte.
Denn ich gab mir selbst einen Teil der Schuld am Tod des Mädchens.
Hätte ich diese verdammten zwei Minuten nicht im Vorzimmer gewartet, wäre das alles nicht passiert.
Nun mußte ich damit rechnen, daß Gordon Essex weitere Morde beging.
Ich verließ den Waschraum. Die Tür führte wieder auf den Flur. Diesmal befand ich mich nur ein Stück weiter hinten.
Das Zimmer des Atlanters lag rechts.
Wo hielt er sich verborgen?
Es gibt Gangster, die besitzen eine ungeheure Nervenstärke. Wenn die sich verfolgt fühlen, dann verstecken sie sich dort, wo man sie nicht
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