Die Rache der Jagerin
bedeckt. »Kalt hier drin, was?«, keuchte ich und tat, als würde ich sein Gemächt mustern, das sich im Schatten befand.
Der Jaguarmann brummte. »Du hast mich mit einer Nagelfeile gestochen.«
Meine Lungen schienen zu platzen, und ich bekam keine schnippische Antwort mehr heraus. Schwarze Flecken tanzten vor meinen Augen. Ich wusste nicht, was schlimmer war: Unter dem Gewicht eines Tigers zu ersticken oder von ihm gefressen zu werden. Ein weiteres Mal versuchte ich, mich zu teleportieren, aber die blauen Blitze peitschten meine Wirbelsäule entlang und betäubten meine Sinne. Und raubten mir den letzten Atem.
Dann wurden aus nächster Nähe zwei Schüsse abgefeuert. Belle fauchte, und plötzlich fühlte ich mich von ihrem Gewicht befreit. Ich rollte nach links und schnappte gierig nach Luft, um meine gepeinigten Lungen zu füllen. Aus einem halben Meter Entfernung starrte mich ein großes, ausdrucksloses Augenpaar an. Der Jaguarmann lag auf dem Bauch, und unter ihm sog sich der Teppich mit Blut voll.
Ein dritter Schuss, und Belle heulte auf. Der vierte Schuss ging fehl und zertrümmerte den Fernsehbildschirm. Belle lag nackt und zusammengerollt auf dem Boden. Sie war verletzt. Hinter ihr stand Leo Forrester in der Tür. Mit beiden Händen hielt er eine kleine Pistole, die er noch immer auf Belle gerichtet hatte. Mit großen Augen und offenem Mund starrte er sie an. Er war totenbleich und schweißüberströmt. Er schnaufte so heftig, dass ich fürchtete, er würde jeden Augenblick hyperventilieren und in Ohnmacht fallen.
Als ich mich benommen aufrichtete, meldete sich mein Rücken mit stechenden Schmerzen. Leicht verwirrt blinzelte ich Leo an. Er schien mich nicht wahrzunehmen.
»Sie … sie …« Leo stammelte und versuchte vergeblich, zu begreifen, was er eben gesehen hatte. Dabei ähnelte sein Gesichtsausdruck demjenigen von Alex, als ich ihm zum ersten Mal von den Dregs erzählt hatte. Für einen viel zu kurzen Augenblick sah ich in Leo Alex’ Unschuld.
»Leo, mach die Tür zu«, wies ich ihn an.
Er klappte den Mund zu und tat wie geheißen. Dabei hielt er Blick und Pistole unablässig auf Belle gerichtet. Klapprig und schwankend stand ich auf. In meinem Wohnzimmer lag ein toter Werkater, daneben eine verwundete Werkatze. Nach all dem Geschrei und den vier Schüssen waren die Nachbarn bestimmt wach und riefen die Polizei. Den Einbruch von Tully und Wormer hatten die Triaden irgendwie erklären können. Doch es gab niemanden, der dies hier erklären konnte.
Wenn ich die Wohnung heute Nacht verließ, würde ich nie wieder hierher zurückkehren.
»Chalice?«, fragte Leo und klang wie ein Kind, das sich nicht ganz sicher war, ob es fragen durfte, was gerade vor sich ging.
»Pass mal eine Minute auf sie auf«, entgegnete ich.
»Du blutest.«
Ohne auf ihn einzugehen, stürzte ich ins Schlafzimmer, getrieben von reinem Adrenalin und meinem Bauchgefühl. Ich schnappte mir eine Tasche aus dem Schrank und stopfte wahllos Kleider hinein. Hauptsache, ich erwischte irgendwelche T-Shirts, zwei Paar Jeans und genügend frische Unterwäsche. Ihr unberührtes Laptop stand noch immer auf dem Schreibtisch. Ich steckte es zu den Kleidern in die Tasche. Es konnte sich später vielleicht als nützlich erweisen – je nachdem, was die Gremlins mir zu bieten hatten.
Noch einmal schaute ich mich in dem in Weiß und Rosa gehaltenen Zimmer um. Vor vier Tagen war es mir völlig fremd gewesen, und nun war es schon fast ein wenig Zuhause. Ein weiteres Zuhause, das ich verlassen musste. Doch ich hatte keine Zeit für derlei Gedanken, für Heimweh war später genug Zeit.
Leo und Belle hatten sich nicht gerührt. Sie zitterte und atmete abwechselnd, und ich hatte beinahe Mitleid mit ihr. Ich nahm eine der Decken, aus denen Aurora sich ihr Nest gebaut hatte, und deckte die Werkatze damit zu. Sie funkelte mich an und bleckte die Zähne.
»Wo haben sie Joseph und Aurora hingebracht?«, fragte ich.
»An einen sichereren Ort als diesen, Menschenweibchen«, zischte sie.
Sie zum Reden zu bringen war aussichtslos, und wir hatten auch nicht die Zeit dazu. Ich würde die beiden auf eine andere Art aufspüren müssen. Rasch nahm ich meine Tasche vom Sofa, zögerte kurz und eilte dann zur Küche hinüber. Von dem Tresen schnappte ich mir das Foto von Alex und Chalice als letzte Erinnerung und verstaute es bei den anderen Sachen.
Leo schaute mich verwirrt von der Seite an, als ich auf ihn zuging. Noch immer war er bleich, und am Kragen
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