Die Rache der Jagerin
Call«, sagte ich.
Kismet legte die Stirn in Falten. »Wer ist das?«
»Ein weiterer Problemfall, von dem wir nichts wüssten, wenn ich nicht auf eigene Faust losgezogen wäre und deine Befehle missachtet hätte.«
Mein Sarkasmus prallte völlig an ihr ab. »Was hat er mit der ganzen Sache zu tun?«, fragte sie.
Ich berichtete ihr von meinem Gespräch mit Isleen, ohne ihr die Sache mit dem Müllcontainer auf die Nase zu binden. »Wenn du meine Unterhaltung mit Wyatt gehört hast, weißt du ja über Park Place Bescheid«, meinte ich.
»Ja, und wir haben Leute zur Beobachtung dorthin abgestellt. Danke, dass du dir die Mühe machst, mir dieses Detail mitzuteilen. Wenn du meine Jägerin wärest …«
»Ich bin niemandes Jägerin mehr. Warum geht das nicht in eure Köpfe? Deshalb bin ich schon einmal draufgegangen. Dieses Leben will ich nicht mehr, aber alle um mich herum wollen mich da wieder hineinziehen.«
»Das ist kein Job, aus dem du aussteigen kannst, Stone«, erklärte Tybalt und trat neben seine Chefin. Seine Wangen leuchteten rot vor Wut. »Als wir ins Ausbildungslager gingen, haben wir uns alle lebenslang verpflichtet. Jeden Tag bemühen wir uns, die Ahnungslosen zu beschützen und die zu ehren, die in Erfüllung dieser Pflicht gestorben sind. Du kannst das nicht einfach an den Nagel hängen und darauf scheißen.«
»Ich scheiße auf niemanden.« Ich sprang auf die Beine. Alles schwankte, und dass ich mich an der Wand festhielt, war keineswegs gespielt. Als ich wieder aufschaute, hatten beide Jäger ihre Waffen gezogen. Milos Pistole war auf meine Brust gerichtet, während Tybalt seine Schmetterlingsschwerter in Händen hielt. Erst sah man nur eine einzige, unterarmlange Klinge, doch dann machte er eine Bewegung, und es wurden zwei Klingen daraus. Mit seiner Körpergröße und einer Waffe in jeder Hand konnte er einem beinahe ein wenig Furcht einflößen.
Ich stellte mich breitschultrig vor die beiden hin und warf Tybalt einen finsteren Blick zu. In mir kochte die Wut hoch. »Glaubst du etwa, ich würde mich nicht mehr an den Namen und das Gesicht der Auszubildenden erinnern, die ich bei meiner Abschlussprüfung im Lager töten musste? Ich habe ihrem Andenken jedes Mal Respekt erwiesen, wenn ich einen Halbvamp erlegt oder einen Kobold aufgeschlitzt habe. Oder wenn ich Blut vergossen habe, um unsere Stadt zu verteidigen. Und ich glaube, dass ich ihr und allen, die gestorben sind, auch einen Scheißrespekt erwiesen habe, als ich letzte Woche vergewaltigt und zu Tode gefoltert worden bin. Was meinst du dazu?«
Niemand sagte ein Wort. Tybalt war dabei gewesen, als sie mich sterbend in dem alten Bahnhofsgebäude gefunden hatten. Er hatte gesehen, was die Kobolde mir angetan hatten, und dennoch besaß er die Stirn, meine Opferbereitschaft in Frage zu stellen? Arschloch!
Müde, hungrig und verzweifelt darüber, dass ich nicht wusste, wem ich vertrauen konnte, beharrte ich auf meinem Standpunkt. Ich hatte meine Pflicht erfüllt, indem ich als Jägerin gelebt hatte und gestorben war. Aber warum waren alle anderen so versessen darauf, so zu tun, als ob sich nichts geändert hätte?
»Sag mir nur das eine«, wandte ich mich wieder an Kismet. »Siehst du noch immer Evy Stone, wenn du mich anblickst? Oder siehst du eine andere Person, die nicht Teil deiner Welt ist und die für dich eine Bedrohung darstellt?«
Ihre Gesichtsmuskeln zuckten, und sie war nicht in der Lage, ihre Gedanken zu verbergen. Ich hatte es haarscharf getroffen. Ich war tatsächlich nicht mehr die Jägerin, die ich gewesen war. Mein Tod und meine Wiederauferstehung im Körper von Chalice Frost hatten mich unwiederbringlich verändert. Ich war etwas vollständig Neues – eine Fremde mit den Erinnerungen und der Ausbildung einer erfahrenen Jägerin und zwei übernatürlichen Fähigkeiten, die mir gegenüber allen Menschen, mit denen ich bisher zusammengearbeitet hatte, einen entscheidenden Vorteil verschafften. Kismet konnte mich nicht mehr kontrollieren. Baylor, Willemy, Morgan – keiner der anderen Handler hatte es überhaupt erst versucht.
Auch die Hohen Tiere hatten keine Kontrolle mehr über mich. Ich tanzte nicht mehr nach ihrer Pfeife.
Kismet dachte lange über meine Worte nach, und außer ihren Augen bewegte sich nichts. Sie wanderten auf und ab, glitten über mein Gesicht und suchten. Endlich kam sie zu einem Schluss, einem Schluss, der mit einer ärgerlichen Portion Mitleid einherging. »Wir geben dir keine Schuld, Stone«,
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