Die Rache der Kinder
mal sehr erwachsen.
»Ich bin sicher, wir werden unseren Spaß haben«, sagte Delia und legte den Arm um Kates Vater.
Kate ging zur Tür.
»Vergiss dein Mittagessen nicht!«, rief Delia ihr hinterher.
Kate schlug die weiße Tür so fest hinter sich zu, dass der polierte Messingklopfer klirrte. Sie war wütend – stinkwütend sogar –, aber nicht auf Delia und ihren Vater, sondern auf sich selbst, weil sie genau das Verhalten gezeigt hatte, das sie bei anderen so sehr verabscheute.
Scheiße, Scheiße, Scheiße.
Jetzt gab es niemanden mehr, mit dem sie es sich noch hätte verderben können. Sie hatte ihre Mutter nicht mehr zurückgerufen, seit sie gestern einfach aufgelegt hatte; außerdem wollte sie nicht, dass Bel von Delias und Mikes Trip nach Amsterdam erfuhr. Die Stadt war immer eins von Bels Traumzielen gewesen.
Das also war das Ende einer perfekten Woche. Jetzt gab es nichts mehr zu tun, außer zu verschwinden. Einfach nur weg, sodass niemand sie finden konnte … nicht dass jemand es gewollt hätte. Und wer konnte es den Leuten schon verübeln?
Als sie wieder in ihren Mini stieg, traf Kate eine Entscheidung.
Auch sie musste eine Zeitlang weg von hier.
Einfach in ihr Auto steigen und losfahren, und am Ende der Reise eine Flasche Wein, ein extrem kalorienhaltiges Essen und ein, zwei friedliche Nächte in Caisleán, der alten Scheune in jenem Teil von Süd-Oxfordshire, der zu den Berkshire Downs gehörte. Sie und Rob hatten das alte Gebäude zu einem Wochenendhaus umgebaut.
Wie sehr sie ihn vermisste! Doch heute würde sie in der Richtung nichts mehr unternehmen können.
Sie wollte jetzt nur allein sein. Mehr brauchte sie nicht.
11. Laurie
Acht Jahre waren seit Sams Geburt vergangen. Seitdem hatte Laurie ihren Abschluss an der Kunsthochschule gemacht und weitere sinnlose Qualifikationen erworben, während Sam seinen »Start ins Leben« gehabt hatte.
Laurie war nach Reading gezogen – für den Fall, dass die Leute sich an sie erinnerten und Fragen stellten, wie ihre Eltern es formuliert hatten; es sei besser, irgendwo zu studieren, wo niemand sie kenne. Sam hatte sich währenddessen gut entwickelt und lebte nun glücklich und zufrieden im Rudolf Mann House, ohne seine Mutter. Natürlich freute er sich, wenn er sie sah, denn er wusste ganz genau, wer sie war. Glücklich umarmte er sie und drückte sie an sich … wie er es mit den meisten Leuten tat.
Im Rudolf Mann House wurde Sam geliebt, und er war ja auch liebenswert. Er war ein süßer Junge mit beachtlichen Lernschwierigkeiten, tobte aber nie herum oder bekam gar einen Anfall. Meist war er genauso gefügig wie seine Mutter, die nun wie verlangt im Gestüt seiner Großeltern arbeitete (nicht dass Sam seine Großeltern gekannt hätte) und mehr oder weniger auf Bestellung malte und weniger zum Vergnügen – es sei denn, es war ein Geschenk für Sam.
Inzwischen wusste Laurie, dass ihre Eltern gelogen hatten. Sie wusste es schon seit langem. Sam hätte durchaus bei ihnen leben können; schließlich kümmerten sich Tausende von Familien um Kinder mit Down-Syndrom, auch wenn es harte Arbeit war,diesen Kindern auch nur die einfachsten Dinge beizubringen, und auch, wenn ihr Leben ein einziger Kampf sein konnte. Doch Laurie hatte ihren Kampfeswillen schon seit langem verloren, und sie nahm an, dass man sie im Heim verachtete. Zumindest wusste sie es von einer der Erzieherinnen, einer Frau, die eines Samstagnachmittags aus dem Haus gekommen war und Laurie angesprochen hatte, als diese ihren Sohn nach einem gemeinsamen Tag wieder ins Heim hatte zurückbringen wollen.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, hatte die Erzieherin zu Laurie gesagt. »Er ist nie verärgert, nachdem Sie wieder gegangen sind.«
Blöde Kuh, hatte Laurie gedacht. Dabei hätte sie eher froh sein sollen, denn natürlich wollte sie nicht, dass Sam auch nur eine Sekunde unglücklich war. Außerdem war diese Frau doppelt so viel wert wie andere Betreuer, denn sie war selbst behindert und hatte ihre Behinderung nicht nur überwunden, sondern ihr Leben zahllosen Kindern gewidmet, während Laurie, die kerngesund war, es noch nicht einmal fertigbrachte, ihren Sohn mehr als einmal alle vierzehn Tage für einen Tag zu sich zu nehmen. Diese Frau hatte alles Recht der Welt, schlecht von ihr zu denken.
Blöde Kuh.
Laurie nahm an, dass ihre Kraft zurückkehrte, sollte irgendjemand versuchen, Sam wehzutun. Doch das würde nie geschehen, solange er in dieser sicheren Zuflucht lebte.
Das
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