Die Rache der Kinder
ersten Mal von der neuen Idee erzählten. Doch dadurch, dass sie die Idee nicht auf der Stelle verwarf, hatte sie ihr schon so gut wie ihren Segen erteilt.
»Wen immer wir bestrafen«, erklärte Simon ernst, »muss ein wirkliches Monster sein.«
»Das ist klar«, sagte Jack.
»Wir sind schließlich keine Schläger«, fügte Piggy hinzu.
Es herrschte kein Mangel an potenziellen Monstern, doch die Kinder sahen die Risiken realistisch. Wenn sie zum Beispiel etwas gegen einen der meist verachteten Lehrer an der Schuleunternahmen, dann wussten sie, dass sie vermutlich nicht damit durchkommen würden. Gleiches galt für das klapprige alte Schlachtross, das den Dorfladen in Bartlet führte und jedem Kind aus Challow Hall misstraute.
Bei der Putzfrau jedoch hegten sie keine Zweifel.
Rose Miller, eine Frau mit verkniffenem Gesicht und dicken Armen, arbeitete fünf Tage die Woche im Heim. Sie wohnte in einem Reihenhaus am Dorfrand und war stets liebevoll zu dem stinkenden Köter, den sie Billy nannte; doch wenn es um ihr kleines Mädchen und ihren Jungen ging, war sie ein Biest. Sie schrie sie an und schlug sie in den Läden und auf offener Straße. Und es waren richtige Schläge, nicht einfach nur ein Klaps hier und da; sie wurden mit einer Kraft und Härte geführt, dass die Kinder genau wussten, was sie erwartete, wenn sie wieder zuhause waren.
Und da in den Augen der Spieler nichts schlimmer war als Mütter, die grausam zu ihren Kindern waren, beschloss die Gruppe einstimmig, dass Rose Miller eine Bestrafung verdiente.
Hauptsächlich wollten die Kinder sie einschüchtern.
»Und sie soll auch Schmerzen erleiden«, drängte Jack eines Abends in Wayland’s Smithy.
»Nein, keine Schmerzen«, mischte Ralph sich ein. »Bei Brutalitäten mache ich nicht mit.«
»Nicht mal, wenn der- oder diejenige es verdient hat?«, fragte Piggy.
Ralph hörte ein sehnsüchtiges Verlangen in seiner Stimme. Zwar war Piggy ein sanftmütiger Junge, doch dank der Barbarei seiner Eltern war Kindesmisshandlung Anathema für ihn.
»Nein, nicht einmal dann«, antwortete sie entschlossen.
»Was hat das Ganze dann überhaupt für einen Sinn?«, wollte Jack wissen. »Was bringt es, wenn wir der alten Kuh nicht wehtun dürfen?«
»Wir können ihr Angst einjagen«, sagte Roger. »Wir können ihr zeigen, dass sie dafür bezahlen muss, wenn sie sich nicht besser um ihre Kinder kümmert.«
Alle schauten zu Ralph und warteten darauf, ob sie auch dagegen etwas einzuwenden hatte.
Das wäre der geeignete Augenblick gewesen, der ganzen Sache ein Ende zu machen – und das wusste Ralph –, doch sie war viel zu fasziniert und wollte sehen, wie dieses neue Spiel sich entwickeln würde, deshalb sagte sie weder Ja noch Nein.
Alle schwiegen eine Zeitlang.
»Und wenn es schiefgeht?«, fragte Simon schließlich. »Wenn sie uns erkennt und verpetzt?«
»Das wird sie nicht«, antwortete Roger. »Und falls doch …«
»Schlimmstenfalls«, sagte Jack und zuckte mit den Schultern, »landen wir im Knast.«
»Getrennt«, sagte Piggy grimmig.
»Man würde ihr möglicherweise nicht glauben«, bemerkte Ralph leise. »Rose Miller betrügt die Sozialversicherung. Ich weiß, dass sie Nebenjobs in drei anderen Dörfern hat. Trotzdem kassiert sie Sozialhilfe.«
»Dann könnten wir sie also erpressen«, sagte Jack mit hörbarer Freude.
»Nein«, widersprach Ralph. »Aber sollte es zum Schlimmsten kommen, wird man sie vielleicht für eine Lügnerin halten.«
»Ich wünschte«, hatte sie an jenem Morgen zu ihnen gesagt, »ihr würdet das nicht tun.«
Um diese Uhrzeit waren sie nicht im Grab, sondern im ehemaligen Gemüsegarten in Challow Hall. Überall waren Kinder. Ralph war mit ihrer alten, zerschlissenen Aktentasche an den vieren vorbeigegangen und hatte sich beiläufig gebückt, um einen verbeulten Fußball aufzuheben, den sie ziellos herumgetreten hatten.
»Du wirst es doch keinem verraten, oder?«, fragte Piggy besorgt.
»Natürlich nicht«, antwortete Ralph. »Ich will nur, dass ihr noch mal darüber nachdenkt.«
»Das haben wir schon«, erwiderte Roger.
»Ihr müsst nämlich wissen«, Ralph sprach leise, »dass sie so verdorben sein kann, wie sie will – das macht euren Plan noch lange nicht richtig.«
Richtig und falsch, gut und böse … Damals waren diese Dinge in ihrem Geist noch voneinander getrennt.
»Was heißt hier euer Plan? Es ist unser Plan«, verbesserte Roger sie mit Nachdruck. »Du hast uns geholfen, schon vergessen?«
»Natürlich«,
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