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Die Rache ist Dein

Die Rache ist Dein

Titel: Die Rache ist Dein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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sich aber mit einem Schal auflockern ließ. Nur haßte sie Schals.
    Manche Frauen hatten ein Talent dafür, warfen sich Schals sorglos über die Schulter oder legten sie sich wie Halsketten um. Bei ihr saßen die verdammten Dinger nie richtig, sahen aus wie ein Wetterschutz, nicht wie ein modischen Accessoire.
    Sie nahm den schlichten Anzug vom Bügel und betrachtete ihn. Er würde genügen. Mit einer einfachen Goldkette und goldenen Ohrsteckern ließ er sich etwas aufpeppen. Diesen Aufzug konnte man wirklich nicht als aufreizend bezeichnen. Nicht, daß sie Scott verdächtigte, irgendwas im Sinn zu haben, aber Männer waren nun mal Männer. Selbst alte Männer.
    Cindy wickelte sich aus dem Badetuch, schlüpfte in ihre Unterwäsche. Als nächstes kam die Hose; sie paßte gut, saß sogar ein bißchen locker. Eine freudige Überraschung.
    Sie zog das Jackett über und knöpfte es zu. Verdutzt stellte sie fest, daß es über der Brust spannte. Rasch zog sie es wieder aus und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Brüste waren nicht größer geworden, aber die Brustmuskulatur hatte sich entwickelt. Auch ihre Schultern waren breiter geworden. Warum war ihr das noch nicht aufgefallen? Wahrscheinlich, weil sie nicht viel auf ihr Äußeres achtete. Nur, wenn es sein mußte, betrachtete sie sich im Spiegel. Vor Verabredungen. Und die waren in letzter Zeit selten. Die Sache mit Scott war zwar keine richtige Verabredung, aber immerhin ein Essen in einem Restaurant mit einem Mann, der kein Verwandter war. Sie führte die Veränderung ihres Körpers aufs Gewichtheben und Training zurück, ihre tägliche Laufstrecke von fünf Kilometern, dazu fünfzig Liegestützen und zweihundert Situps.
    Das Jackett spannte also. Na und? Sie würde es einfach nicht zuknöpfen. Aber dann mußte sie etwas darunter tragen. Ihre Blusen spannten wahrscheinlich auch. Blieben nur noch Pullover. Die meisten waren zu dick und zu sportlich für einen Hosenanzug. Außer vielleicht dem schwarzen, gerippten Rolli.
    Ging Schwarz zu Marineblau?
    Ach je, dachte sie. Mit miesem Stilgefühl geschlagen. Wenn sie doch nur eine Mutter hätte, die sich in solchen Dingen auskannte. Eine, die wußte, wie man Schals knotet, Sachen richtig kombiniert und welcher Lippenstift zu was paßte.
    Ihre Mutter war in Modedingen genau so hoffnungslos wie sie. Moms Kleidung bestand hauptsächlich aus Baumwollkaftans oder Bauernblusen mit weiten, gerüschten Röcken. Dazu trug sie meist klotzige Glasperlenketten oder indianischen Silberschmuck mit Türkisen. Cindy hatte nie verstanden, warum sich ihre Mutter so kleidete, denn sie hatte eine gute Figur. Cindy zog den Rolli an. Er saß eng, aber es würde gehen. Das Jackett verdeckte ihren Busen. Sie war schlank, einsachtundsiebzig groß, wog fünfundsechzig Kilo.
    Sie legte etwas Rouge auf und schminkte sich die Lippen. Ihre schulterlangen Locken drehte sie zu einem Knoten zusammen und befestigte ihn mit einer Schmetterlingsspange. Mit der Handtasche über der Schulter verließ sie das Schlafzimmer. An der Wohnungstür blieb sie kurz stehen und schaute noch einmal ins Wohnzimmer.
    Ihr Blick blieb am Kaminsims hängen, länger als nötig. Irgendwas stimmte nicht. Sie ging zum Kamin. Auf dem Sims standen eine Vase, eine kleine Waterford-Kristalluhr (ein Geburtstagsgeschenk ihrer Stiefmutter Rina), ein Dutzend Porzellantierchen (ihre Sammlung aus Kinderzeiten) und mehrere Familienfotos in Silberrahmen.
    Das war es!
    Hannahs Foto fehlte. Cindy ließ den Blick durch den Raum wandern, bis er am Couchtisch hängenblieb. Da stand das Bild ihrer sechsjährigen, strahlend lächelnden Halbschwester. Cindy nahm den Silberrahmen und stellte ihn wieder an seinen angestammten Platz. Wie war er auf den Couchtisch gekommen? Sie hatte ihn nicht angerührt, seit sie das Foto aufgestellt hatte.
    Oder doch, als sie das letzte Mal Staub gewischt hatte? Gott, wann hatte sie überhaupt Staub gewischt?
    Sie sah auf die Uhr. Zwanzig vor sieben. Selbst wenn sie Glück hatte mit dem Verkehr, schaffte sie es kaum noch rechtzeitig zum Restaurant.
    Uber das Bild würde sie später nachdenken. Sie schloß die Wohnungstür ab, vergewisserte sich, daß sie auch wirklich zu war, lief rasch die drei Treppen hinunter.
    Vielleicht hatte Oliver gestern abend das Bild umgestellt. Vielleicht hatte er das Foto vom Kaminsims genommen, war damit auf und ab gegangen, als er auf sie wartete. Und hatte nicht mehr gewußt, wo es hingehört, als er es zurückstellen wollte.
    Was

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