Die Rache ist Dein
seufzte.
Dad wartete nicht auf sie; in dem Punkt hatte Scott sich geirrt. Und alle Riegel und Schlösser waren in Ordnung. Cindy sah sich auch den Türknauf genau an — keine Kratzer oder ähnliches. Alles schien unberührt. Etwas weniger angespannt schloß sie die Tür auf, betrat ihre Wohnung und warf die schwarze Jacke auf die Couch. Ein rascher Blick sagte ihr, daß alles so war, wie sie es verlassen hatte. Der Kaffeebecher vom Morgen stand noch auf dem Beistelltisch, die Zeitung lag auf derselben Seite aufgeschlagen da.
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Okay. Das war also erledigt. Sie war erleichtert, aber auch ein bißchen enttäuscht. Ihr Job bot ihr Unvorhersehbares und Neues. Im Gegensatz dazu wirkte ihr Privatleben prosaisch und uninteressant. Aber sie wußte, daß sie mit ihren Wünschen vorsichtig sein mußte. Interessant war ein Adjektiv aus chinesischen Flüchen.
Sie nahm den Becher und trug ihn in die Küche, holte sich ein Glas, goß Weißwein ein, wußte, daß es dumm war, auf leeren Magen zu trinken. In letzter Zeit hatte sie einige Dummheiten gemacht, meist in Zusammenhang mit Oliver.
Mit dem Glas in der Hand ging sie zurück ins Wohnzimmer, blickte zum Kaminsims. Die Familienfotos und ihre Porzellantiere standen genau so, wie sie sie zurückgelassen hatte: Schweine, Katzen, Hunde und Kühe in trauter Gemeinsamkeit.
Cindy setzte sich vor den Fernseher, schaltete ihn mit der Fernbedienung ein. Auf dem Schirm erschien das Bild von zwei Menschen, die durch einen Supermarkt rasten und Dutzende in Cello-phan verpackter Schinken in ihre Einkaufswagen warfen. Da der Ton ausgeschaltet war, sahen die zwei noch komischer aus, wie die Keystone Cops im Stummfilm. Sie dachte an Oliver, überlegte, ob er ihr absichtlich Angst einjagte. Und wenn ja, warum?
Vielleicht hatte er einen Superman-Komplex, war der Typ, der hilflose junge Maiden rettete. Dad nannte diese Typen HDS oder Helden der Stunde. Egal, wie sie die Geschichte erzählten, stets waren sie diejenigen, die alles ins Lot brachten. Der Held - und sie dachte absichtlich an einen Helden, nicht an eine Heldin, weil die HDS gewöhnlich Männer waren — benutzte Sätze wie »Wenn ich nicht da gewesen wäre« oder »Wenn es mich nicht gegeben hätte« oder das angeblich bescheidenere »Man bat mich um meine Meinung, und ich schlug das und das vor, was dann bestens funktionierte.«
Was hatte Oliver zu einem HDS gemacht? Unsicherheit? Oder hatte das erst eingesetzt, als er älter wurde? Vielleicht durch dieselben Ängste ausgelöst, die ihn hinter halb so alten Frauen herjagen ließen. Er brauchte einen Schub fürs Ego, mußte sich seine Jugendlichkeit bestätigen. Oder vielleicht hoffte er, bei seinem Boß Punkte zu machen, weil er dessen Tochter half? Aber das ergab keinen Sinn, denn er wollte ihre Treffen geheimhalten. Vielleicht machte er sich tatsächlich ernsthafte Sorgen um ihre Sicherheit bei dieser Crayton-Sache.
Ihre Uhr — die absichtlich fünf Minuten vor ging — zeigte auf kurz nach halb acht. Genug Zeit, sich was zu essen zu machen. Was bestimmt sinnvoller war, als sich mit nichts als Wein im Magen verhören zu lassen. Sie zwang sich aufzustehen und steckte zwei gefrorene Pizzaraschen in den Toaster.
Ach, die Freuden des Alleinlebens. Sogar Mom, die keine gute Köchin war, versorgte sich besser Cindy hatte eine ständige Einladung, Freitag abends bei ihrem Dad und ihrer Stiefmutter zu essen — die Mahlzeit, mit der der jüdische Sabbat begann. Sie drängte sich nur ungern auf, aber vielleicht sollte sie diese Woche darauf zurückkommen. Ihre Stiefmutter Rina war sehr religiös, und ihr Vater hatte sich dem angepaßt. Ihre Lebensweise war Cindy fremd. Sie verglich sie mit einem kunstvoll gearbeiteten viktorianischen Stuhl — bezaubernd und schön, aber im Alltag unpraktisch. Doch es tat ihrem Vater gut, machte ihn glücklich, und das allein zählte. Die Pizzataschen schnellten hoch, landeten ein ganzes Stück vom Toaster entfernt auf der Arbeitsplatte. Vorsichtig hob sie eins der heißen Dinger auf, wickelte es in eine Serviette und biß auf dem Weg zum Schlafzimmer hinein. Wie zog man sich an, wenn man von seinen Kollegen verhört wurde ... oder, besser gesagt, von seinen Vorgesetzten?
Dad als ihr Vorgesetzter. Nachdem sie fast ein Jahrzehnt gebraucht hatte, um sich von den väterlichen Fesseln zu befreien.
Du hättest ja nicht zur Polizei gehen müssen.
Sie beschloß, sich nicht umzuziehen, auch wenn sie lieber Jeans und ein Swearshirt angezogen hätte. In
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