Die Rache ist Dein
es war eine Razzia. Atme tief durch, befahl sie sich. Noch mal. Eins ... zwei ... drei. Los! Sie stieß mit dem Fuß die Tür auf, richtete die Waffe auf ihren rosa Bademantel. »Keine Bewegung!« schrie sie.
Nichts geschah, nur ihr keuchender Atem war zu hören. Mit dem Fuß schob sie die noch hängenden Sachen beiseite, vergewisserte sich, daß niemand im Schrank war. Verzweifelt kämpfte sie gegen die Tränen, bewegte sich, inzwischen schon resigniert, Zentimeter für Zentimeter Richtung Bad, Sie wußte, was sie erwartete, weil der Inhalt ihres Medizinschranks zwischen den beiden Räumen verstreut lag. Als sie das Badezimmer fast erreicht hatte, lief es ihr kalt über den Rücken. Sie wirbelte herum, aber da war niemand.
Jetzt flippst du ganz aus, was?
Halt die Klappe! Das hatte sie laut gesagt.
Sie redete schon mit sich selbst.
Drehte sich zum Bad um. Wieder lief es ihr kalt über den Rücken. Sie wollte über die Schulter schauen. Bevor sie den Kopf drehen konnte, schrie eine Stimme hinter ihr: »Stehen bleiben! Keine Bewegung, keine Bewegung, keine Bewegung!«
Sie erstarrte, war gelähmt vor Angst. Angst, die eigentlich nicht angebracht schien. Ihr Verstand sagte ihr, daß Wahnsinnige nicht »Stehen bleiben« brüllen. Cops brüllen »Stehen bleiben«.
»Ich bin es, Cindy«, sagte die Stimme. »Scott Oliver. Beweg dich nicht!« Sie blieb reglos stehen.
»Ich hocke neben deinem Bett, blicke auf einen Scheißhaufen, meine Waffe ist über der Matratze. Ich kann dich sehen. Du hältst deinen Revolver in der rechten Hand. Ich sag dir das, weil ich nicht aufstehen und von dir erschossen werden will. Ich möchte wirklich nicht, daß es zu einer dummen Tragödie kommt, okay?«
Sie antwortete nicht. Er sprach leise, aber eindringlich. Wie schaffte er das?
»Okay, wie wär's, wenn du dich zuerst umdrehst, damit du mich sehen kannst ... oder die Waffe?
Dann stehe ich auf.« Cindy schwieg immer noch.
»Oder ich stehe auf, aber dann siehst du nicht, was passiert.«
»Ich dreh mich um«, sagte Cindy. Ihre Stimme zitterte, klang wie unter Wasser.
»In Ordnung«, erwiderte Oliver. »Solange du nicht auf mich schießt ... «
»Ich schieße nicht.« Cindy drehte sich um. »Ich sehe deine Waffe.«
»Gut. Ich steh jetzt auf.« Seine Knie knackten. Für so was war er einfach zu alt. Bei ihrem Anblick hätte er fast laut aufgejapst. Ihr Gesicht war schweißnaß und dreckig. Sie starrte ihn mit wildem Blick an. Eine ganze Minute ließen sie einander nicht aus den Augen. Keiner sprach, und keiner bewegte sich. Schließlich fragte er: »Bist du allein?« Keine Antwort.
»Ich meine ... « Er schluckte. »Ist jemand hier? Kann ich meine Waffe senken? Oder ist vielleicht noch jemand hier ... hast du alles überprüft?« Noch immer keine Antwort.
Er hob den Revolver, legte ihn langsam aufs Bett. »Ich komme jetzt zu dir ... «
»Nein!«
»Gut. Okay! In Ordnung. Ich bleibe, wo ich bin. Beweg mich nicht. Sag du mir ... « Wieder schluckte er. »Geht es dir gut?«
Sie antwortete nicht, konnte nicht antworten. »Ich meine ... ich weiß, daß es dir nicht gutgeht.« Er seufzte, schaute zur Zimmerdecke. »Mußt du ins Krankenhaus?« Cindy schüttelte den Kopf. »Bist du überfallen worden?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Ich ... es war schon so, als ich nach Hause kam.« Pause. »Warum bist du hier?«
»Ich hab eine Nachricht auf deinem Anrufbeantworter hinterlassen.« Oliver lächelte, aber sein Mundwinkel zuckte. Er schwitzte wie blöd. »Du hast ihn wahrscheinlich nicht abgehört. Himmel Herrgott noch mal, was ist hier passiert?« Sie starrte ihn an.
»Marge hat mich vor fünfzehn, zwanzig Minuten angerufen«, fuhr Oliver fort. »Sie hat mir von dem Camry erzählt und ... daß du ihn verfolgt hast und er in die Schlucht gestürzt ist. Und ... « Er atmete aus, verschränkte die Arme, um das Zittern seiner Hände zu verbergen. »Und sie wollte, daß ich ... oder sie und ich ... morgen zum Unfallort fahren ... alles überprüfen und ... und ich war in der Gegend und wußte, daß du zurückkommst, also dachte ich, du wärst noch auf. Ich wollte dir ein paar Fragen stellen ... über den Unfall. Und über das Auto ... du weißt schon, Hintergrundinformation. Vielleicht wollte ich dich auch einfach nur sehen.« Sie rührte sich nicht.
Oliver fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich sah das Licht in der Wohnung, aber die Tür war auf ... Ich entdeckte die ganze Sauerei .. wollte wissen, ob ... « Er hielt inne.
Weitere Kostenlose Bücher