Die Rache
Entweder sie sind noch drauf oder eben nicht.«
Abe sah von dem Bericht auf. Der Junge hatte noch etwas zu sagen. »Aber?«
»Sie waren nicht mehr drauf.«
Abe versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen.
»Aber ich habe angefangen nachzudenken.«
Abe fing an, diesen Burschen zu mögen. Er grinste sein von der Narbe verzerrtes Grinsen.
»Und worüber haben Sie nachgedacht?«
»Wie ich schon sagte, auf der Waffe waren keine Fingerabdrücke. Aber – es waren auch keine Fettspuren drauf. Sie wirkte, als hätte sie noch nie jemand in der Hand gehalten.«
»Aber sie ist abgefeuert worden.«
»O ja, da besteht kein Zweifel. Aber trotz Schlamm und Salzwasser … Irgendwas erwartet man. Irgendwelche Fettrückstände.«
»Und?«
»Keine. Weil das vielleicht ein bißchen vage ist, habe ich einen Test mit Armor All gemacht.«
» Armor All ?«
»Ein Autoputzmittel. Sagt Ihnen nichts? Die Hell’s Angels sind Spezialisten für das Zeug. Sie reiben eine Waffe sauber, sprühen sie mit Armor All ein und hinterlassen garantiert keinen Fingerabdruck.«
»War Armor All auf dieser Waffe?«
»Exakt.«
»Und?«
»Das bedeutet, daß der, der die Waffe abgefeuert hat, über Armor All Bescheid wußte.«
»Und weiter?«
Der Junge beugte sich über den Tisch, und seine Augen leuchteten vor Erregung. »Es bedeutet, daß der Täter ein Profi war. Denn wenn er kein Profi wäre, hätte er die Waffe hinterher einfach abgewischt, meinen Sie nicht?«
Glitsky nickte. »Okay.«
»Also stammt Ihr Schütze aus unserer Branche. Es ist zwar nicht der Stein der Weisen, aber ich würde auch nicht behaupten, daß es zum Allgemeinwissen gehört. Falls Sie also zwei Verdächtige haben und einer von beiden ist, sagen wir, ein Zivilist, dann ist es eher unwahrscheinlich, daß das Ihr Mann ist.«
»Ray Weir«, sagte Abe, »der Ehemann. Durch und durch Zivilist.«
»Vielleicht lohnt es sich, darüber nachzudenken.«
Drysdale erläuterte noch einmal den Ablauf.
Draußen, unter den Fenstern, fuhren die Wagen auf den Freeway Richtung Bay Bridge. Gubicza lehnte sich zurück. Auf der Uhr des Union Squares war es zwanzig vor fünf – wegen dieser idiotischen Idee ein verlorener Tag, und er war noch nicht vorbei.
Fred, noch immer begeistert und zuversichtlich, wurde von der Technikerin, einer uniformierten Beamtin, an den Detektor angeschlossen. Sie und Drysdale würden als einzige anwesend sein, und das war Mannys größte Sorge. Bei Störungen funktionierten Lügendetektoren nicht, und bei einer geübten Person funktionierten sie überhaupt nicht, aber Manny würde während der Prozedur nicht im Zimmer sein. Kein Gerichtsreporter, keine anderen Anwälte, niemand würde da sein, nur Fred, Drysdale und diese Frau, die vermutlich hinter ihm – außerhalb seines Blickfeldes – sitzen würde.
Ganz so schlimm, wie es hätte sein können, war das Ganze aber wohl nicht, denn Drysdale hatte Manny und Fred bereits eine vollständige Liste der Fragen, die er stellen würde, übergeben. Alle waren mit ja oder nein zu beantworten, und Manny und Fred waren sie während der vergangenen Stunde miteinander durchgegangen, um sicherzugehen, daß Fred über nichts stolperte.
Manny hörte nur mit halbem Ohr zu. Wenn Drysdale einen Hinterhalt plante, würde er mit größter Wahrscheinlichkeit nicht jetzt losschlagen.
»Wie ich gesagt habe«, dröhnte die Stimme Drysdales, »das ist kein formeller Vorgang, aber die Art Ihrer Beschuldigungen …« – hier lächelte er erst Treadwell und dann Gubicza zu – »ist so … so ungewöhnlich, daß ich glaube, Sie werden …« – wieder schien er nach dem richtigen Wort zu suchen –, »unsere Behörde wird kooperationsbereiter sein, wenn Sie …« Drysdale streckte die Hände aus, lächelte, war jedermanns Freund. »So kenne ich mich gar nicht, meine Herren. Ich muß den Fall sowohl vor meinem Boß als auch vor meiner Mannschaft vertreten, und es gibt da gewisse Bedenken, die in diesem Stadium vielleicht auch nicht ganz ungerechtfertigt sind, fürchte ich. Nun gut … Lassen Sie uns einfach festhalten, Manny, daß unsere Zusammenarbeit hier die Glaubwürdigkeit Ihres Klienten ebenso wie die Ihre beträchtlich erhöhen wird.«
»Sie glauben mir nicht, oder?« fragte Treadwell.
»Fred, bitte.« Gubicza war nicht bereit, seinen Klienten in eine unvorhergesehene Diskussion mit Drysdale eintreten zu lassen. Art Drysdale war trotz seiner friedfertigen Erscheinung einer der geschicktesten Staatsanwälte, denen
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