Die Rache
»Fünf Minuten. Er ist des Mordes verdächtig.«
»Wollen sie, daß er lebendig vor Gericht gestellt wird?«
Hardy sah erst Baker, dann wieder die Schwester an. »Nicht unbedingt. Aber ich werde mich kurzfassen.«
Er schob den Stuhl wieder vor, während die Schwester mit dem Wachbeamten sprach.
»Also, wo waren wir?« fragte Hardy. »Ach ja, Ingrahams Boot.«
Baker rang nach Atem, als wäre er gerannt. »Da war keine Frau«, sagte er.
»Sergeant Glitsky haben Sie erzählt, Sie wären nicht dort gewesen.«
»Er hat mich verdächtigt, er glaubt, ich hätte den Typ ermordet.«
»Richtig.«
»Der Typ hat mich mitgenommen.«
»Wer?«
»Ingraham.«
»Rusty Ingraham hat Sie in seine Wohnung mitgenommen? Das soll ich glauben?«
»Glauben Sie, was Sie wollen, ich erzähle, was passiert ist.«
»Okay. Also, was ist passiert?«
»Ich bin aus dem Bus gestiegen, da stand der Kerl und wartete schon. Er kam zu mir und sagte: Kommen Sie, wir machen eine kleine Fahrt. Ich wollte weitergehen, aber er hat mich gezwungen.«
»Wollen Sie mir erzählen, Rusty Ingraham habe eine Waffe auf Sie gerichtet?«
Baker nickte. »Er hat mir eine Waffe gezeigt, also bin ich mit ihm zu seinem Auto gegangen. Ich dachte, er erschießt mich, aber dann sind wir ungefähr zweieinhalb Meilen weit bis zu diesem Kahn gefahren. Er hat gesagt, er hätte gehört, daß ich jetzt versuchte, ein braver Bürger zu sein. Gutes Benehmen im Knast und all das. Wir haben auf seiner Couch gesessen und Wasser getrunken, und er hat gesagt, daß er hofft, das alles ist wahr, aber wenn es nicht wahr ist, will er, daß ich weiß, wo er wohnt, damit ich niemals in seine Nähe komme. Denn wenn ich dort auftauche, schießt er, und es ist Notwehr, und dann fragte er, ob ich das verstanden hätte.« Wieder entrang sich seiner Kehle ein gurgelnder Laut. Mit verzerrtem Gesicht schluckte er ein paarmal.
»Und dann?« fragte Hardy.
»Dann bin ich gegangen. Ich bin herumgelaufen, nur weg von da. Ich bin ein freier Mann.«
Der Beamte kam herein. »Noch zwei Minuten, sagt die Schwester.«
Hardy stand auf und sah auf Baker hinunter. Der schluckte noch immer, und auf seiner Stirn schimmerte ein dünner Schweißfilm. Er öffnete die Augen. »Ich habe niemanden umgebracht«, sagte er.
Der Beamte verdrehte die Augen. »Das sagen sie alle, was?«
14
Mit dem Spazierstock in der Hand trat Angelo Tortoni aus der Kirche ›Saint Peter and Paul‹ auf den Washington Square. Seine Frau Carmen hatte sich bei ihm eingehakt, die beiden Söhne, Matteo und Franco, gingen einer vor, einer hinter ihnen. Sie stiegen die Stufen hinunter.
Tortoni ging langsam, genoß den schönen Morgen und das Geschwätz seiner Frau. Carmen war fast doppelt so umfangreich wie er, aber nicht fett. Er bezeichnete sie gern als stämmig – gute, solide Beine, ein fester, runder Hintern, eine kräftige Taille und Brüste wie Melonen. Sie war zwanzig Jahre jünger als er, stammte aus Italien, war gut erzogen und sehr leidenschaftlich und besaß auch nach Jahrzehnten noch ein vermutlich angeborenes Gespür für das, was ihren Mann glücklich machte.
Angelo hatte schon öfter gedacht, seine Frau würde ihn eines Tages umbringen mit ihrer Energie, aber dann war ihm klargeworden, daß ihre Begeisterung ihn jung hielt. Sie war wunderbar hemmungslos, wenn sie ihm sein Vergnügen verschaffte wie gestern nacht oder verlangte, daß sie ihren Spaß bekam, was Angelo nur fair fand. Er glaubte nicht, daß es viele Frauen gab, die ihn sooft erregen konnten wie Carmen, der es auch dann gelang, ihn auf Touren zu bringen, wenn er glaubte, keine Lust zu haben.
Die kleine Gruppe überquerte den Platz und bog an der Powell Street zum Fior d’ Italia ab. Der Sonntag gehörte Gott und der Familie. Carmen war glücklich – Angelo würde nach dem Lunch zu Hause sein, ein paar Nachbarn würden vorbeikommen, um ihm ihren Respekt zu bekunden und ihn vielleicht um einen Gefallen bitten. Sie würden Angelo Tortoni in sanfter Stimmung vorfinden.
Angelo wandte den Kopf, nickte und lächelte über eine Bemerkung seiner Frau. Fast scheu hielt sie den Kopf gesenkt, drückte seinen Arm. Sie gingen noch langsamer den Hügel hinauf in Richtung Grant Avenue. Angelos Beine waren so gut wie die jedes anderen Mannes, aber er genoß es, den Eindruck zu erwecken, er werde allmählich gebrechlich. Das würde seine Feinde unvorsichtig machen, und das konnte ihm eines Tages von Nutzen sein. Außerdem hatte er bemerkt, daß es auch in einer
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