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Die Rache

Die Rache

Titel: Die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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anderen Hinsicht eine ausgesprochen vorteilhafte Wirkung hatte, alles langsam zu tun: Es verlieh seinen Worten Gewicht und seinem Urteil Endgültigkeit. Eine leise Stimme, ein Flüstern waren ebenfalls hilfreich. Wenn man die Stimme nicht hob, mußten die Leute näherkommen, sich konzentrieren, auf jede Silbe lauschen. Das bedeutete Macht.
    Franco rannte vor und öffnete das Tor in der weißen Mauer, die ihr Haus umgab. Sie betraten den kleinen Vorhof und warteten dort, bis Franco die neun Stufen hinaufgelaufen war und die Haustür geöffnet hatte. Angelo, das stete Summen von Carmens Stimme im Ohr, freute sich, daß seine Söhne sich ganz von selbst um die Sicherheitsvorkehrungen kümmerten.
    Carmen war keine Klatschbase oder Schwätzerin, aber sie liebte das Gespräch auf dem Heimweg nach der sonntäglichen Messe. Es gab ihr das Gefühl, alle Neuigkeiten, die ihr entgangen waren, von ihrem Mann zu erfahren, auch wenn er kaum eine Antwort gab, höchstens nickte oder ihr die Hand tätschelte. Und es gab ihr das Gefühl, seinen Alltag mit ihm zu teilen. Nichts, so wußte Tortoni, war von der Wahrheit weiter entfernt als das, denn Carmen hatte von seinem Alltag so gut wie keine Ahnung. Sie glaubte, er sei als Berater für Menschen mit Problemen tätig, als Menschenfreund für die, die Hilfe brauchten, und im Ältestenrat der Knights of Columbus .
    Der Vorbau lag im Sonnenlicht, das gefärbte Glas über dem Eingang schimmerte bunt, und Angelo nahm den Duft von geröstetem Lamm aus der Küche wahr. Knoblauch und Rosmarin … Er half Carmen aus dem Mantel, küßte sie auf den Nacken und übergab den Mantel einem seiner Männer. Da sah er Pia, das Hausmädchen, in der Tür zum Wohnzimmer stehen und die Hände ringen. Carmen tätschelte Angelo den Arm und ging hinüber, um in schnellem Italienisch mit ihr zu sprechen. Vielleicht hatten sie den Lunch anbrennen lassen oder vergessen, etwas einzukaufen. Es war schon in Ordnung, was immer es war.
    »Im Arbeitszimmer wartet eine Frau, die dich sprechen will«, sagte Carmen.
    Tortoni verzog das Gesicht. »Jetzt?« Er warf Pia einen scharfen Blick zu. Er kannte keine Frauen, und schon gar keine, die es wagen würden, an einem Sonntag vor zwölf Uhr in seinem Haus aufzutauchen. »Kennen wir sie?«
    Carmen sprach italienisch. »Pia konnte sie nicht wegschicken, sei nicht böse. Die Frau sieht aus, als sei sie geschlagen worden. Sie bittet um deine Hilfe.«
    Tortoni erklärte Pia, daß sie richtig gehandelt habe. Er würde also mit der Frau sprechen, herausfinden, worum es ging.
    Er nickte Matteo zu, der ins Arbeitszimmer ging, um zu prüfen, ob die Frau eine Schußwaffe oder ein Messer bei sich hatte. Tortoni bat Pia, ihm seine Flasche und zwei Gläser Lacrima Christi zu bringen, den süßen, goldenen Wein, den er jeden Sonntag nach der Messe trank. Er zog den Mantel aus, stellte den Stock neben die Tür in den Schirmständer, drehte sich um und küßte Carmen auf beide Wangen. »Ti amo«, sagte er. Dann fiel er zurück ins Englische: »Es wird nicht lange dauern.«
    Das Arbeitszimmer war dunkel, doch selbst im Dämmerlicht erkannte Angelo auf den ersten Blick, daß die Frau überwältigend schön war. Sie hatte versucht, die Schwellungen auf ihrer Wange mit Make-up zu überdecken, aber ein Auge war ebenfalls geschwollen, und die vollen roten Lippen waren aufgeplatzt. Man wünschte sich unwillkürlich, sie küssen zu dürfen, um den Schmerz zu lindern. Sie trug einen leichten hellbraunen Rock, der ihr jetzt, wo sie saß, gerade bis über die Knie reichte. Ihr Haar war zurückgebunden und an der Seite mit einem Perlmuttkamm zusammengehalten. Sie erinnerte Angelo an seine Frau am Tage ihrer Hochzeit. Er schickte Matteo hinaus. Die Tür wurde geschlossen, sie waren allein.
    Er ging mit gleichmäßigen Schritten zur Couch. Eigentlich hatte er vorgehabt, hinter seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, aber nachdem er sie gesehen hatte, wollte er keinen künstlichen Abstand zwischen sich und diese Frau bringen.
    Jalousien aus hölzernen Lamellen, die vor allen Fenstern heruntergelassen waren, sorgten für angenehm dämmriges Licht. Als Tortoni die Lamellen einer Jalousie waagrecht stellte, zeichneten horizontale Lichtstrahlen eine leuchtende Leiter auf den Teppich.
    Sie stand auf und sank vor ihm auf ein Knie, nahm seine Hand und küßte den Handrücken. Sie war eindeutig gut erzogen.
    Sie sprachen italienisch.
    »Wie heißen Sie?«
    »Doreen Biaggi.«
    Er klopfte neben sich auf die Couch,

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