Die Radleys
wieder auf, und sie realisiert, wer und wo sie ist und was gerade passiert ist.
Er ist jetzt weg, und Eve erkennt, dass sie hier raus muss, um Hilfe zu holen.
Sie zieht sich hoch, aber es ist schwer, und noch nie hat sie sich von der Schwerkraft so sehr nach unten gezogen gefühlt.
Sie ist eine Taucherin, die zwischen den Überresten einer versunkenen Zivilisation umherirrt. In einer verlorenen Welt, die einst ihr gehörte. Sie schafft es bis zur Tür. Zieht mit aller Kraft und tritt hinaus auf den Teppich. Das Muster dreht sich unter ihr wie hundert kleine Strudel, und am anderen Ende des Foyers ist der Kartenverkäufer. Einen seltsamen Augenblick lang fragt sie sich, warum er sie so entsetzt anstarrt.
Ihre Hand gleitet von der Wunde.
Und dann ist da ein eigenartig kriechender Schatten, alswürde ein Schiff über ihrem Kopf dahinziehen, und sie weiß, dass es etwas Schreckliches ist. Sie weiß, dass sie in ein oder zwei Sekunden nichts mehr wissen wird.
Sie löst sich darin auf, in der Schwärze.
Wie Salz im Wasser.
Jedes Lebenskörnchen löst sich allmählich auf und wird etwas anderes.
Hilfe.
Sie versucht dem verzweifelten Gedanken eine Stimme zu geben, ist sich aber nicht sicher, ob sie es schafft. Mit jedem Schritt wird sie schwächer.
Hilfe, bitte.
Sie hört eine Stimme, die mit ihrem Namen antwortet.
Es ist die Stimme ihres Vaters, die sie erkennt, als die Finsternis nicht mehr nur an den Rändern ihres Blickfeldes ist, sondern überall, wie eine Welle über ihr zusammenschlägt. Unter dem Gewicht taumelt sie, und zuletzt bleibt ihr nur die vage Erkenntnis, dass sie auf den Teppich sinkt.
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BABY
Jared Copeland war in seinem Wagen zum Kino gerast, durch den Wind und den Regen, der durch die zerbrochene Scheibe peitschte, die Glassplitter klirrten einmütig auf dem Beifahrersitz. Auf halbem Weg, kurz vor dem Fox and Crown Pub in Farley, kam ihm der Minivan der Radleys entgegen, in dem nur Peter Radley hinter dem Lenkrad saß und allein nach Hause fuhr.
Bei seinem Anblick raste er noch schneller nach Thirsk, da er vermutete, dass Peter wahrscheinlich seinen Sohn abgesetzt hatte. Vor dem Kino angekommen, parkte er das Auto zur Hälfte auf dem Gehweg, rannte die Stufen hinauf und stürzte durch die Tür.
Und da ist er jetzt, im Foyer. Er sieht einen Mann in einem weißen Hemd, jemanden, der dort arbeitet, am Telefon schreien und gestikulieren.
»Hallo … wir brauchen auf der Stelle einen Rettungswagen … ja … ein Mädchen ist angegriffen oder irgendwie … sie blutet …«
Dann sieht Jared seine Tochter und das Blut und versteht. Sie ist von dem Radley-Jungen gebissen worden. Das Entsetzen treibt ihn an, sodass er für einen Moment wieder zu seinem alten Ich zurückkehrt und über die Panik hinweg in eine Art Hyperruhe verfällt, während er sich über seine Tochter beugt, um ihren Puls zu fühlen. Jede wache Minute in den letzten zwei Jahren wusste er, dass das passierenwürde, und jetzt ist es so weit. Er wird alles tun, um sie zu retten. Vor zwei Jahren war er in Panik verfallen und hatte geschrien, und als Will Radley diesen Schrei hörte, hat er seine Frau mit sich in den Himmel genommen. Diesmal muss er klüger handeln, und zwar schnell. Das hier darf ich nicht versauen.
Er hört den Angestellten reden, während der Puls seiner Tochter schwach an seinem Finger klopft. »Das Palace Cinema in Thirsk. Sie ist bewusstlos. Sie müssen sofort kommen.«
Jared überprüft die Wunde und das unaufhörlich fließende Blut. Er weiß, dass Heilung nicht möglich ist. Er weiß, dass landesweit in keiner Klinik jemand weiß, was er mit ihr anstellen soll. Er weiß, dass sie sterben wird, wenn er es mit Erster Hilfe versucht.
Der Angestellte hat jetzt aufgehört zu telefonieren.
»Wer sind Sie?«, fragt er Jared.
Jared ignoriert ihn und hebt seine Tochter auf. Dieselbe Tochter, die er als drei Kilogramm schweres, neugeborenes Baby im Arm gehalten hat, der er nachts die Flasche gegeben hat, wenn ihre Mutter zu erschöpft war, der er Abend für Abend »American Pie« vorgesungen hat, um sie in den Schlaf zu wiegen.
Flackernd heben sich kurz ihre Augenlider. Sie erholt sich so weit, dass sie »Es tut mir leid« sagen kann, und sinkt dann zurück in die Bewusstlosigkeit.
Der Angestellte will ihm den Weg verstellen. »Was machen Sie mit ihr?«
»Das ist meine Tochter. Bitte halten Sie die Tür auf.« Der Mann sieht ihm erst ins Gesicht, dann auf das Blut, das noch immer auf den Teppich
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