Die Radleys
ihr Glück so dicht vor seiner Nase nicht ertragen. Nicht ohne einen Plan, dieses Glück zu zerstören.
»Ich liebe sie«, erklärte Peter seinem Bruder. »Ich werde sie konvertieren und ihr sagen, wer ich bin.«
»Nein, tu’s nicht.«
»Was? Ich dachte, du hättest gesagt, dann könnte ich mich begraben lassen. Ich dachte, du hättest gesagt, es wäre meine Entscheidung.«
»Ich rate dir nur, noch ein bisschen zu warten. Warte noch ein paar Jahre. Du könntest zweihundert Jahre alt werden. Denk darüber nach. Ein paar Jahre sind nur ein Prozent deines Lebens.«
»Aber …«
»Und wenn du sie anschließend immer noch magst, kannst du ihr sagen, wer du bist und was du anstellst, wenn sie schläft. Und wenn sie dich immer noch mag, heiratest du sie und konvertierst sie in eurer Hochzeitsnacht.«
»Ich weiß nicht, ob ich so lang widerstehen kann, sie zu beißen.«
»Wenn du sie wirklich liebst, wirst du warten können.«
Als Will all das sagte, zweifelte er an Peters Geduld. Er würde Helens überdrüssig werden und wieder auf Wills Party-Zug aufspringen, so sicher, wie ihm die blutleereKopulation Nacht für Nacht auf die Nerven gehen würde. Er würde entweder mitten im Liebesakt zuschlagen und sie beißen oder sie endgültig verlassen.
Irrtum.
Zwei Jahre mit Kinobesuchen und Spaziergängen im Park, und Peter hielt immer noch die Stellung. In der Zwischenzeit hätte Will eigentlich in London Vorlesungen halten müssen, wo er aber so gut wie nie auftauchte. Er war ständig unterwegs und reiste um die Welt. Eines Nachts hatte er sich mit Peter in Prag getroffen, im Nekropolis, einem der Vampirclubs, die im Zuge der Samtenen Revolution um den Wenzelsplatz entstanden waren.
»Immer noch kein Verlagen?«, hatte er ihn gefragt, während ihnen das industrielle Pulsieren der Techno-Musik in den Ohren dröhnte.
»Nein«, sagte Peter, »ich war noch nie so glücklich. Ehrlich. Sie ist lustig. Sie bringt mich zum Lachen. Neulich nachts, als ich nach Hause kam, hat sie …«
»Jedenfalls solltest du nichts überstürzen.«
Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen Will Helen begegnete, verspürte er ein merkwürdiges Flattern im Bauch, was er auf Blutmangel oder zu viel Sonne zurückführte. Jedenfalls hatte er nach Begegnungen mit ihr immer ein Bedürfnis nach Blutausflügen. Oft flog er einfach nach Manchester, wo die Vampirszene gerade richtig aufblühte, und labte sich an einem willigen – oder unwilligen – Hals, an dem er Gefallen fand.
Und dann passierte es.
Am 13. März 1992 eröffnete Peter seinem Bruder, dass er Helen alles erzählt habe.
»Alles?«
Peter nickte und schlürfte noch etwas Blut, direkt aus der Flasche. »Sie weiß, wer ich bin, und sie akzeptiert das.«
»Was willst du mir damit sagen?«
»Also … wir werden heiraten. Im Juni. Wir haben auf dem Standesamt das Datum festgelegt. Sie will, dass ich sie auf unserer Hochzeitsreise konvertiere.«
Will verspürte das starke Verlangen, seinem Bruder eine Gabel ins Auge zu stechen, und kämpfte es anschließend nieder. »Oh«, sagte er. »Das freut mich wirklich für euch.«
»Ich wusste, dass du das sagen würdest. Schließlich habe ich deinen Rat befolgt.«
»So ist es. Das ist wirklich wahr, Pete. Du hast dich eine ganze Zeit zurückgehalten, dann hast du’s ihr gesagt.«
Will stürzte im freien Fall in die Tiefe.
Er lächelte, ohne es zu wollen, was er in seinem Leben noch nie getan hatte. Überall in der Küche gab es Spuren von ihr – ein Kochbuch auf dem Tresen, eine gerahmte Aktzeichnung an der Wand, ein schmutziges Weinglas vom vergangenen Abend –, und er musste hier raus. Das tat er auch und streifte auf dem Weg nach draußen einen ihrer Mäntel im Flur.
Erst am nächsten Tag, als sie ihm erschien, in einem Traum im Licht von Veronese, wurde ihm die Wahrheit bewusst. Sie saß da, bei einer Art Hochzeitsbankett im Venedig des sechzehnten Jahrhunderts, mit einem Zwergensklaven, der Wein in den goldenen Becher füllte, den sie in den Händen hielt. Während all die anderen attraktiven Frauen in magentafarbene Seide und sinnliche Feengewänder gehüllt waren, sah Helen exakt genauso aus wie bei ihrer ersten Begegnung. In einem schlichten Rollkragenshirt aus Acryl, ohne erkennbares Make-up, das Haar allein von der Natur und einem Kamm frisiert. Und dennoch konnte niemand auf seinem beweglichen Traumfresko auch nur ansatzweise mit ihr mithalten oder sein Interesse wecken.
Als er näher und näher auf die endlos lange Tafel
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