Die Radleys
Ruderboot. Der Name »Tess Copeland« hat ihm einen heftigen Hieb aus der Vergangenheit versetzt. Er erinnert sich an die Nacht, in der er mit ihr in der Bar der Vereinigung ein paar Drinks getrunken hat, bei einer verspielten Diskussion über den französischen Philosophen Michel Foucault und seine Theorien über Sex und Wahnsinn, von denen es in ihrer Dissertation nur so wimmelte. (»Also, was genau macht Wordsworth zu einem – wie war das doch gleich – ›genealogisch-verwirrten, de-individualisierten, empirisch-transzendenten Pädagogen‹?«) Sie hatte zu ihrem Ehemann nach Hause gewollt und verstand überhaupt nicht, weshalb sie so spät noch mit ihrem Tutor unterwegs war.
»Ach … ich …«, stammelt Will und ringt ernsthaft nach Worten.
Handlung.
Konsequenz.
Am Ende gleicht sich alles aus.
»Nur ein weiteres Echo für Sie, schätze ich. Wissen Sie, ich habe gesehen, wie Sie es getan haben. Ich habe gesehen, wie Sie mit ihr weggeflogen sind.«
Will weiß wieder, was später in der Nacht passiert ist. Wie er sie auf dem Campus getötet hat. Hörte, wie jemand in der Nähe wegrannte.
Dann der Schrei.
Er war das gewesen.
Er versucht, sich wieder in den Griff zu bekommen.
Ich habe Hunderte getötet. Sie ist nur ein Körnchen im Sand. Dieser Mann hat seine Frau vernachlässigt. Dieser Mann hat es nicht geschafft, sie zu beschützen. Er hasst mich, we il ihn se ine Schuldgefühle dazu bringen.
Und wenn Will nicht gewesen wäre, würde er seine Frau inzwischen hassen. Sie hätte ihren Doktor gemacht und würde von Foucault und Leonard Cohen und Gedichten faseln, die er nicht kennt, und über ihn lästern, weil er sich Fußballspiele ansieht.
Diese ganze blöde Sache mit all diesen unblutigen Beziehungen. Sie funktionieren nur, wenn die Leute sich nicht verändern, Jahrzehnte auf dem Fleck verharren, wo sie sich kennengelernt haben. Sicher ist, dass Beziehungen zwischen Leuten nicht beständig sind, sondern fließend und zufällig, wie eine Sonnenfinsternis oder Wolken, die am Himmel aufeinandertreffen. Sie existieren in einem sich ständig bewegenden Universum voller sich bewegender Objekte. Und ziemlich bald wäre ihm klar geworden, dass seine Frau dachte, was so viele von denen, die er gebissen hat, dachten. Sie hätte gedacht, ich könnte es besser haben.
Der Mann sieht furchtbar aus. Verbraucht, ausgelaugt, verschlissen. Und Will riecht am säuerlichen Geruch seines Blutes, dass es nicht immer so war. Er ist einmal ein anderer Mann gewesen, aber er ist vergammelt, sauer geworden.
»Jared? Ach ja? Sie waren bei der Polizei«, erinnert sich Will.
»Ja.«
»Aber vor dieser Nacht … wussten Sie nichts. Von Leuten wie mir.«
»Nein.«
»Ist Ihnen klar, dass ich Sie letzte Nacht hätte umbringen können?«, sagt Will.
Jared zuckt mit den Schultern, als ob das kein großer Verlust gewesen wäre, bevor Will einen Monolog hält, den das halbe Pub mithören kann.
»Mit einer Axt? Um mich zu köpfen?«, sagt er, als die Bardame an ihm vorbeigeht, um im Biergarten den Lunch zu servieren. »Die Literatur empfiehlt, etwas zu nehmen, was durchs Herz geht. Einen Pflock oder etwas Ähnliches. Es gibt Pedanten, die auf Weißdorn-Holz bestehen, aber alles, was hart und lang genug ist, tut’s auch. Natürlich brauchen Sie dann verdammt viel Schwung. Dummerweise klappt das nie, nicht wahr? Vampire töten Vampire. Aber Menschen, nein. Das passiert einfach nicht.« Er macht ein ernstes Gesicht. »So, und wenn Sie mir jetzt nicht aus den Augen gehen, werde ich meine Maßstäbe runterschrauben und mich an ihrem verkochten und bitteren Blut vergreifen.«
Jareds Handy klingelt. Er ignoriert es. Genau genommen hört er es eigentlich gar nicht. Er denkt an Eve. Dass er hier sitzt und dieses Gespräch führt und damit ihr Leben noch mehr in Gefahr bringen könnte. Wie ein Sturzbach rauscht die Angst durch seinen Körper, und er steht auf, weil sein Herz so heftig und schnell hämmert wie in jener Nacht vor zwei Jahren. Steifbeinig setzt er sich in Bewegung und tritt hinaus in die milde Nachmittagsluft, und zunächst fällt ihm gar nicht auf, dass sein Telefon wieder klingelt.
Will lässt ihn gehen. Nach einer Weile erhebt er sich ebenfalls, um das Angebot der mattbraunen Jukebox zu durchstöbern, die wie ein alter Zigarettenautomat an der Wand hängt. »Under My Thumb« von den Stones ist das Beste,was sie zu bieten hat, also lässt er es laufen und streckt sich auf der Bank aus, auf der er vorher gesessen hat.
Es
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