Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
machte, einen Sinn in allen Dingen zu erkennen. Er fühlte sich ausgeglichen, als gehörte er dazu. Seit der Erscheinung Gabriels hatte er nicht mehr solchen Frieden in sich gefühlt.
Der Gedanke an den Erzengel ließ seine rechte Hand jucken. Die kleine, schlüsselförmige Narbe war wieder zu sehen, deutlicher als die erst kürzlich zugefügten Verletzungen und Kränkungen, die seine Handfläche in Zornesrot und schwieligem Weiß überzogen.
»Es steht mir nicht zu, glücklich zu sein, oder?«, sagte Hethor und blickte auf seine Hand, als spräche er mit ihr.
Arellya wurde durch seine Stimme geweckt und lächelte ihn an. »Guten Morgen, Bote.«
Letzte Nacht hatte sie Hethor gesagt, ihr Volk glaube, »Hethor« sei in seiner Sprache kein Name, sondern das Wort für »Bote«. Arellya jedoch hatte ihrem Volk gegenüber darauf beharrt, dass es sein Name sei, obwohl Hethor nichts davon mitbekommen hatte.
»Arellya«, sagte Hethor in einer Mischung aus Höflichkeit und Zuneigung. Die Klicks und Pfiffe, die er dabei ausstieß, hörten und fühlten sich immer noch seltsam für ihn an, aber im Kopf war die Sprache des vergessenen Volkes ihm bereits so vertraut wie das Englisch seiner Königin.
»Wann wirst du den Wasserweg beschreiten?«, fragte Arellya.
»Was meinst du damit?«, fragte Hethor.
»Den Fluss.« In Arellyas Stimme schwang Geduld mit. »Wann wirst du den Wasserweg beschreiten?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Du kennst die Gefahren einer Wanderung durch den Dschungel bereits. Der Wasserweg ist der einzige Pfad, der dich deinem Ziel näher bringen kann.«
Hethor seufzte lächelnd. »Ich weiß nicht, ob ich gehen will. Dieser Dschungel ist heiß, die Luft stickig, aber es ist ein freundlicher Ort für alle, die hier zu leben verstehen. Ich würde gern solange wie möglich euer Gast sein.«
»Deshalb hat Gott dich und deine wundervolle Goldtafel nicht zu uns geschickt, Bote.« Arellya schaffte es, verärgert zu klingen. »Gott hatte andere Absichten. Wir, das vergessene Volk, sind wie die Ameisen in der Erde des Dschungels. Wir sind ein Teil dieses Ortes, und weder wir noch der Ort könnte ohne den anderen überleben. Gott schickt uns keine Nachrichten, außer in den Tropfen seines Regens und der Hitze seiner Sonne. Deine Nachricht aber betrifft etwas Größeres und ist für jemanden in einer weit entfernten Stadt aus Stein und bemaltem Holz bestimmt.«
»Ich ...« Hethor wusste sehr wohl, dass Gabriel ihm nicht zur Aufgabe gemacht hatte, sich ein Zuhause im Dschungel südlich der Äquatorialmauer zu suchen. Obwohl er versucht war, sich seiner Pflicht zu entziehen, erinnerte die wiedergekehrte Narbe ihn daran, was auf dem Spiel stand. »Du hast recht, Arellya.«
»Natürlich«, sagte sie mit einem sanften Lächeln.
»Ich muss weiterziehen.«
Kalker kam zu ihnen. Der alte Mann setzte sich stöhnend neben sie. »Mögt ihr beide in den Schatten der Sonnen tanzen.«
»Guten Morgen«, sagte Hethor. Arellya nickte.
»Also hast du deine Seelenmagie entdeckt«, sagte Kalker zu Hethor.
»Seelenmagie?«
»Ja. Gestern waren wir für dich noch pfeifende Wilde. Heute sind wir das vergessene Volk und genießen in deinen Augen ein ganz anderes Ansehen. Hast du den Pfad der Weisheit allein oder in der Dunkelheit der Nacht beschritten?«
»Magie ist gottlos.«
»Magie ist.« Diese Aussage schien Kalker zufriedenzustellen. Er blickte Hethor an, weder ehrfürchtig noch herausfordernd.
»Ich muss die goldene Tafel wieder an mich nehmen«, sagte Hethor und nickte in Richtung der schlafenden Wachen, die mit den Rücken aneinander saßen, die Speere auf dem Schoß. Selbst im größten Rausch der Sinne während der letzten Nacht hatte es immer mindestens einen Wächter gegeben. »Ich muss sie zum Meer bringen und jemanden namens Malgus finden. Dann werden wir gemeinsam weise Männer aufsuchen, die mir den Weg zeigen können.«
»Weisheit ist«, sagte Arellya.
Diesmal nickte Kalker.
»Könnt ihr mir helfen, den Wasserweg einzuschlagen?«, fragte Hethor.
Er zitterte bei dieser Frage. Der Tag versprach jetzt schon heiß zu werden. Moskitos und Mücken surrten umher; größere Lebewesen raschelten unsichtbar in den Bäumen. Der Gedanke an den Fluss machte ihm mehr Angst als Hoffnung, denn in dem Gewässer lauerten Gefahren: Wasserfälle, Untiefen und riesige Krokodile, die in den schlammigen Tiefen auf Beute warteten.
»Die jungen Männer haben gearbeitet«, sagte Arellya. »Sie haben im Wald Rindenboote und
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