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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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gehen und die Mauer zu überschreiten.«
    »Du wirst mich mitnehmen.« Gashansunus Stimme klang an diesem Tag irgendwie anders. Hatte Hethor seinen Zauberspruch geändert? »Du bist eine Gefahr für dich selbst und die Menschen in deiner Nähe, und das wird auch so bleiben, bis du die Schweigende Welt viel besser kennengelernt hast.«
    Hethor räusperte sich. »Sie hat nicht unrecht, Miss Barthes. Es gibt noch viel zu lernen, vor allem, wenn Sie mit einem Schritt die Mauer überwinden wollen. Sie brauchen zwar keine Führerin, denn den Weg kennen Sie ja bereits, aber sicherlich eine gute Ratgeberin.«
    Paolina sprach weiter. »Nun, ich möchte mich auf den Weg machen. Ich möchte Ming an den Ort zurückschicken, der ihm wirklich am Herzen liegt, als Dank für seine stetige Hilfe. Wenn ich bei Boas bin, werde ich mir meine nächsten Schritte überlegen. Dazu gehört allerdings nicht, die Taschenuhr an die Engländer oder ihre Lakaien in den Geheimgesellschaften zu überreichen.«
    »Urteilen Sie nicht so hart.« Hethors Stimme klang sanft, traurig. »Selbst die schlimmsten Übeltäter handeln in der Regel nach ihrem besten Wissen und Gewissen. Das war eine bittere Lektion für mich. Halten Sie inne, bevor Sie zur Tat schreiten. Hören Sie auf Gashansunus Ratschläge, wie Sie Ihren eigenen Weg am besten finden, und Sie könnten Ihr Ziel erreichen.«
    »Das werde ich.« Aber das Wie musste sie natürlich als Erstes herausfinden.
    Erneut standen sie im strahlenden Sonnenschein. Paolina war sich ihres Platzes sehr bewusst – der festgetretene Lehmboden unter ihren arg abgenutzten Stiefeln, die feuchte, heiße Luft, die sie wie die Dunstschwaden vom Fluss umgab, die unerträgliche Hitze, die fast schon greifbar zu sein schien, und die tropische Helle des Tageslichts, das rot durch ihre geschlossenen Augen schimmerte. Jedes Mal, wenn ein Insekt an ihr vorbeisurrte, etwas die Flussoberfläche klatschend durchbrach, oder wenn ein beliebiger Duft aus dem Grünen und Wachsenden aufstieg und sie das Wasser und den Dreck roch, verspürte sie dessen Ruf.
    Sie hielt die zerfetzten Überreste der Engelsfeder in der einen und die Taschenuhr in der anderen Hand.
    Hier breche ich auf , dachte Paolina. Ich bin schon einmal an einen Ort gegangen, den ich nicht kannte, aber damals wurde ich von einem Engel gerufen.
    Sie öffnete ihre Augen und sagte: »Ich kenne den Ort nicht, an dem Mings Herz zu Hause ist. Das, was ihm meiner Erfahrung nach wohl am nächsten kommt, ist ein Strand an der Küste Sumatras.« Dann fragte sie ihn auf Chinesisch: »Möchten Sie auf die Insel zurück, wo wir uns zum ersten Mal gesehen haben?«
    »Nein«, sagte er. »Ich möchte nach Eluanbi oder an einen anderen Ort in Taiwan.«
    Paolina sah zu Gashansunu hinüber. »Ist es mir möglich, ihn an einen Ort zu schicken, an dem ich noch nie gewesen bin?«
    Die Hexenmeisterin sah Ming an. »Schwierig. Nicht unmöglich, aber schwierig. Kannst du damit anfangen, euch an einen Ort zu bringen, den ihr schon kennt?«
    Im Augenblick wollte sie nichts anderes, als an Boas’ Seite zu stehen, aber sie hatte keine Ahnung, wo der Messing sein konnte. Sie wusste nicht einmal, ob er noch lebte. »Ich könnte uns nach Mogadischu bringen«, sagte sie. »Die Briten und Chinesen haben dort miteinander gekämpft, als wir das letzte Mal dort waren. Es wäre kein sicherer Ort für Ming.«
    »Wir haben ein Boot am Fuß der Mauer zurückgelassen«, sagte Ming auf Chinesisch, denn er hatte ihren englischen Worten folgen können. »Wenn wir an die Orte zurückkehren müssen, an denen wir schon gewesen sind, kann ich mich von dort aus auf den Weg machen.«
    »Ich könnte dann weiter nach Afrika reisen und mich auf die Suche nach Boas machen«, meinte sie daraufhin.
    »Was hat er gesagt?«, fragte Gashansunu.
    »Wir werden in die Nördliche Hemisphäre zurückkehren, an den Ort an der Mauer, wo wir unser Boot zurückgelassen haben, als wir uns auf den Weg Richtung Süden machten.«
    Die Hexenmeisterin runzelte die Stirn. »Wie gut erinnerst du dich an diesen Ort?«
    Paolina dachte darüber nach. Sie waren in einer flachen Bucht an Land gegangen, die im Westen durch einen großen Felsvorsprung begrenzt wurde. Es waren zwar schon große Brocken aus ihm herausgebrochen, aber er war immer noch sehr hoch gewesen. Am östlichen Ende der Bucht befand sich ein Schlickwatt mit vereinzelten Bäumen. Im Wasser stehende Stützpfeiler ließen erahnen, dass vor langer Zeit Menschen – oder jemand

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