Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
leicht erklären.«
Gashansunu
Sie ging auf dem Deck der Stolen auf und ab, während sie an Höhe gewannen. Leise Geräusche waren unter Deck zu hören, als sich die Mannschaft auf ihre erzwungene Ruhepause vorbereitete und ihre ganze Hoffnung auf die flache Atmung des Schlafs setzte.
Die Zeit war für sie nicht erneut stehen geblieben, noch hatte sie gezögert. Sie löste sich aus ihrer Verbindung, das wusste sie. Ihr wa war verschwunden. Im Augenblick lautete ihre Theorie, dass sie gestorben war und diese Seelenreise nur der Macht der Gewohnheit eines früheren Lebens entsprang. Sie durchlebte nun die letzten Erinnerungen an Menschen und Orte.
Wer sollte schon darüber Bescheid wissen? Ihr wa sprach niemals direkt über solche Dinge. Niemandes wa tat das.
Sie drehte eine weitere Runde, an Boas vorbei, der so schweigsam wie die nahende Nacht war, entlang der Steuerbordreling, um gen Nordosten zu starren, über die tiefe Wüste hinweg, um dann zum Bug zurückzukehren, wo die letzten Sonnenstrahlen zu ihrer linken Seite verblassten. Dann ging sie an der Backbordreling entlang, um die finster wirkende Masse der Mauer zu betrachten, die am Horizont ihrer Vernunft zu versinken drohte.
Dass die Erde groß war, war eine Binsenweisheit, genauso wie die Aussage, dass Wasser nass war oder Steine nach unten fielen. Aber die Stadt, ihre Stadt konzentrierte sich auf die Ebenen der Schweigenden Welt und hatte daher für die Schattenwelt nichts übrig. Was sich jenseits der Stadtmauern ergab, war von geringer Bedeutung. Selbst das Knochenvolk, in all seiner Macht und seinem Grauen, hatte sich auf eine kleine Nische beschränkt.
Sie begann, sich die Frage zu stellen, ob die behaglichen Grenzen, die ihr Volk um ihr Dasein gezogen hatte, sich nicht als Falle herausstellten.
Sie waren alle im Besitz des flüchtigen Funkens, der einen Schimmer ausmachte. ›Hexenmeister‹ war unter den Adepten und Hauspriestern und Kreismagiern ein Begriff, der Grund zum Stolz war. Es war den Hexenmeistern immer leichtgefallen, sich als jemanden anzusehen, der den Rest der Welt überragte. Dass die stürmischen Seen geringerer Seelen zuweilen einen wilden Hexenmeister hervorbrachten, wurde nur als Nebeneffekt evolutionärer Vorgänge angesehen. William of Ghent war ein solcher mächtiger Hexenmeister gewesen, als er noch die Festung in Simbabwe hielt, aber sobald ihn die Fluten der Unvernunft fortgespült hatten, war niemand an seine Stelle getreten.
Wenn eine Hexenmeisterin der Stadt starb, dann war ihre Macht niemals verloren.
Gashansunu wurde klar, dass sie gestorben war. Sie hatte die Annehmlichkeiten des Hauses des Westens hinter sich gelassen, um einem Vorzeichen zu folgen. Sie hatte gedacht, dass es sich um eine einfache Aufgabe handelte, etwas, das man abends nebenher erledigte, nur um in die Stadt zurückzukehren und sich daran zu erfreuen, welchen Platz man in ihr einnahm. Doch diese Angelegenheit hatte sich in ein Inferno verwandelt, das sie zu verschlingen drohte, sie von ihrer Vergangenheit zu trennen drohte und ihre Zukunft bis zur Unendlichkeit veränderte.
All das nur, weil sie dem Funken eines Mädchens gefolgt war, das sich tatsächlich nur auf der Durchreise befand.
Wenn Gashansunu gestorben war, wer würde sich dann ihre Macht aneignen? Baassiia, der Kreismagier, würde natürlich dafür sorgen, dass ihre Pflichten neu verteilt würden. Andere würden sich der verworrenen Fäden ihrer Seele annehmen, ihrer Absichten. Was ihr wa anging, nun …
Das war der Haken für Gashansunu. Sie konnte sich ein Leben ohne ihr wa buchstäblich nicht vorstellen, dennoch war es ihr entglitten. Es war nun so weit entfernt, dass sie seinen Funken nicht mehr in ihrem Kopf sehen konnte, und es hatte sie mit den vagen Worten zurückgelassen, dass sie es verschlungen hätte.
Aber man verschlang ein wa nicht. Das Gegenteil war vielmehr der Fall, vor allem, wenn das Glück nicht mit dem Hexenmeister war und er sich besonders töricht verhielt.
Wurde sie nun zu Paolinas wa? Die Menschen des Nordens verfügten nicht über ein wa , selbst wenn sie den Weg zur Macht gefunden hatten wie dieses Mädchen.
Aber dennoch schwand sie dahin, hier in der Fremde, abgeschnitten von allen Plänen, die sie gehabt hatte.
Gashansunu befreite sich von ihren verbitterten Vorstellungen und sah zu Boas zurück. Das Mädchen war noch nicht wieder aufgetaucht, und der Messingmann schien an das Steuer genagelt zu sein, als ob die Stolen mittlerweile so hoch
Weitere Kostenlose Bücher