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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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peinlich berührte, und sie atmete tief durch, um ihrem Gegenüber mit einer schlagfertigen Antwort zu begegnen. Was sie innehalten ließ, war die Erkenntnis, dass diese Frau viel zu viel über sie wusste. Nur woher?
    Leung schaltete sich ein. »Ich sollte Sie verachten, Mönch. Ich sollte sie über Bord werfen lassen, mit Eisenketten an ihren Händen und Füßen. Aber selbst wenn ich das täte, wäre ich mir sicher, Sie eine Stunde später auf meiner Brücke wiederzufinden, trocken wie die Wüste und grinsend.«
    »Ich glaube nicht, dass es den Versuch wert wäre, nein«, antwortete der Mönch.
    »Aber das liegt daran, weil ich herausgefunden habe, wer Sie sind.« Der Kapitän verbeugte sich. »Willkommen auf meinem Schiff, Lan Caihe.«
    Verwirrt fragte Childress: »Wer ist Lan Caihe?«
    Der Mönch lachte nun aus vollem Hals und hätte fast ihre kleine Pfeife verschluckt. Der Kapitän sah nach vorn und suchte den Horizont mit seinem Feldstecher ab, als ob dies alles völlig normal wäre.
    Als sie sich wieder gefangen hatte, antwortete der Mönch: »Er hält mich für einen der Acht Unsterblichen der daoistischen Legenden.«
    Das half ihr auch nicht wirklich weiter. »Einen der was?«
    »Weise, die ihr Wissen an andere weitergaben, Priester, die ein besonderes Händchen dafür hatten, die reichen Tempelgänger zu schröpfen. Ich weiß nicht genau, um wen es sich handelt. Und es ist auch nicht von Bedeutung. Keine Frau wandelt tausend Jahre auf Erden. Der Himmel wäre damit nicht einverstanden, und die Hölle würde sie verschlingen!« Die Augen des Mönchs funkelten, als ob der Gedanke an einen unausgesprochenen Witz sie erheiterte. »Vielleicht wird der Name weitergegeben, wie der Titel eines Adligen, von Vater zu Sohn. Vielleicht werden die Unsterblichen in jeder Generation wiedergeboren. Vielleicht stellen sie eine so einflussreiche Idee dar, dass jedes Mal jemand über sich hinauswächst, ohne zu wissen, was sie dazu getrieben hat.« Sie beugte sich vor. »Oder vielleicht bin ich einfach nur ein nerviger Mönch, der seine Augen an viel zu vielen Wuxia-Epen in der Tempelbibliothek geweidet hat.«
    »Das ist nicht wichtig.« Leung betrachtete auch weiterhin den Ozean. »Sie könnten eine dieser Rollen ausfüllen oder alle auf einmal. Oder gar keine. Sie sind trotz allem Lan Caihe, und Sie tragen das Banner des Affenkönigs in unserer Zeit.«
    »Es ist Ihnen egal, ob ich eine Bauerntochter bin, geboren unter einem angeschirrten Ochsen auf den Feldern Fujisans?«
    »Es wäre mir egal, wenn Sie in der Verbotenen Stadt auf einem Sofa aus Elfenbein geboren worden und dem Körper eines Engels entsprungen wären.« Er setzte das Fernglas ab. »Sie sind ohne meine Erlaubnis an Bord meines Schiffs und benehmen sich furchtbar. Wenn sie eine Gottheit sind, dann werde ich Sie willkommen heißen und Ihnen mit ausgesuchter Gastfreundschaft begegnen. Wenn Sie ein unverfrorenes Bauernmädchen aus Fujisan sind, dann werde ich Sie ins Wasser schmeißen und Ihnen befehlen, in Richtung dieser Küste zu schwimmen.«
    »In diesem Fall«, sagte der Mönch glücklich, »bin ich definitiv göttlich. Ich habe außerdem Hunger. Ich habe nichts mehr Vernünftiges zu essen gehabt, seit …« Sie hielt inne und zählte es an ihren Fingern ab. »Wochen!«
    Mit einem prüfenden Blick auf Childress begleitete der Kapitän seinen Gast nach unten. Das versetzte ihrem Herz auf ungekannte Weise einen Stich. Sie fragte sich, was für ein Spiel er wohl spielte – das war sicherlich die Rache dafür, dass sie vor den Briten einfach über ihn hinweggegangen war. Und die Bemerkungen des Mönchs über Diebstahl hatten Leung sicherlich genauso getroffen wie sie selbst.
    Sie stellte fest, dass Leung die Karten mitgenommen hatte.
    Woher wusste der Mönch so viel über ihre Angelegenheiten? Wem hatte sie zugehört? Wo war sie hergekommen?
    Sinnlose Spekulationen, zumindest einstweilen. Sie waren auf dem Weg nach Malta, und das war mehr als genug. Ich hätte mit diesem Mann viel erreichen können , dachte Childress, aber ich wünsche mir, dass diese Reise endlich ein Ende hat. Erschrocken stellte sie fest, dass sie die Erde beinahe umrundet hatte. Von hier aus könnte sie sich fast nach Hause einschiffen.
    Nur dass sie irgendwann im Lauf der Reise das Gefühl verloren hatte, New Haven als ihr Zuhause zu verstehen. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob es sich um eine Tragödie für sie handelte oder eine Befreiung. Der Westen rief nach ihr, und irgendwo vor

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