Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
würde ich es bevorzugen, dieses Schlachthaus zu verlassen.«
»Keine Hinrichtungen, Madam. Nicht heute.« Der Offizier nahm sie in Augenschein. »Ich bin Major Sharpe vom Cameron-Regiment. Darf ich fragen, wer Sie sind?«
»Die Maske Childress der avebianco.«
Sharpe sah zu dem geöffneten Tank hinüber. »Hier, um sicherzustellen, dass ein Mord geschieht?« Seine Stimme klang sanft, aber seine Betroffenheit war deutlich herauszuhören. Wang fragte sich aufs Neue, ob sie diesen Raum wirklich lebend verlassen würden.
»Hier für ein Treffen mit der Regierung, um den Krieg im Osten zu beenden«, blaffte sie ihn an. »Ich bin nicht für Ihre Queen hierhergekommen, aber ich leugne Mr Kitchens’ Tat auf keinen Fall. Es handelt sich nicht um einen Mord, wenn jemand beendet, dass ein seit Langem vorbestimmter Tod hinausgezögert wird. Auf jeden Fall werden Sie mich heute nicht erschießen, denn ich muss den Premierminister sehen.«
»In diesem Fall wird Ihre Geduld bald schon belohnt«, sagte Sharpe. »Lloyd George eilt in diesem Augenblick in einem Sonderzug hierher. Die gesamten Verbindungen in Oxfordshire wurden dafür stillgelegt.«
»Gut«, sagte Childress. »Dann wird England erfahren, wie es am besten einen vorteilhaften Frieden aushandelt.« Wangs Herz schlug schneller, als sie auf ihn deutete. »Mein Begleiter wird für China und den Schweigsamen Orden sprechen.«
»Ich …« Er verstummte. Dies war nicht China, wo die Macht in direkter Blutlinie vererbt wurde – und durch himmlischen Auftrag. Er konnte versuchen, Gnade für diesen Moment zu erbitten, und den Rest seines Lebens in einem englischen Gefängnis verbringen, oder von sich behaupten, ein Kô zu sein, ein Agent sowohl des Drachenthrons als auch des Schweigsamen Ordens. Wie sollten diese Männer schon den Unterschied erkennen?
Sie hat nicht weniger vollbracht.
Wang nahm seinen Mut zusammen. »Ich werde mit Ihrem Premierminister verhandeln.« Sein Tonfall war so knapp wie Childress’, aber er verkündete die größere Lüge. Er wünschte sich, dass der Mönch bei ihm wäre. »Es gibt keinen Grund für einen Krieg.«
Wie sollte er diese Nachricht nach Hause bringen? Zuerst würde er sie die Good Change in Port Said aufhalten lassen. Kapitän Shen wäre wütend, aber dann war Kapitän Shen eigentlich immer wütend.
»Sie sind ein äußerst merkwürdiger Botschafter«, antwortete Sharpe. Er und seine Männer brachten sie eilig fort.
Wir werden vielleicht doch noch den nächsten Tag erleben, dachte Wang. Er würde sich sehr schnell sehr viele neue Lügen einfallen lassen müssen. Wenn sie nur groß genug waren, dann konnte er damit den Krieg zu einem Ende bringen und wichtig genug werden, um zu überleben, nach Hause zurückzukehren und die Nachricht zu überbringen.
Seine Bibliothek schien sehr, sehr weit weg zu sein, aber die Entfernung spielte eine immer unwichtigere Rolle. Wang musste sich jetzt, wo er sein eigener Herr war, daran hindern, nicht singend durch die zerstörten Korridore zu gehen.
Kitchens
Er saß auf einem schmalen Stuhl vor einem wuchtigen Eichenschreibtisch. Das Möbel wirkte, als ob man ihm gerade einen Schonbezug abgezogen hatte. Der Gestank des Brands lag noch in der Luft. Nach Stunden lauter Brandbekämpfung und manchem vereinzelten Schuss kehrte nun langsam wieder Ruhe ein.
Man hatte ihn von Wang und Childress getrennt. Kitchens hoffte inständig, dass die Schüsse nicht ihnen gegolten hatten. Er selbst ging davon aus, gehängt zu werden, außer sie machten aus seiner Hinrichtung eine inoffizielle, verheimlichte Angelegenheit. Etwas, mit dem man den Abend zu einem gelungenen Abschluss brachte.
Das laute, rhythmische Ticken einer Standuhr ließ an der Mauer zu seiner Rechten die Minuten vergehen. Leere Regale, die fast fünf Meter hoch bis zur Decke reichten, außer an den Stellen, wo die Fenster den Zugang zum Garten ermöglichten. Der Kronleuchter fehlte, aber Befestigungshaken und Gasrohre waren in der Mitte einer Gipsrosette noch zu erkennen. Wenn draußen das Tageslicht verschwand, würde er mit seinen Geistern allein in der unruhigen Dunkelheit sein.
Der Sonderbeauftragte betrachtete im schwindenden Licht seine schmutzigen Fingernägel. Königliches Blut bedeckte die schmalen Schrammen und klebte an den Ecken jedes Fingernagels. Er hatte, um hierher zu gelangen, fast zwei komplette Mannschaften getötet – erst die der Erinyes , dann die chinesischen Matrosen, die al-Wazir und dieser wahnsinnigen Frau aus
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