Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
seinen Küsten.« Wu war an diesem Morgen außergewöhnlich mitteilsam.
Das sollte er vermutlich auch , wurde sich Wang bewusst. Die weiterführende Reise bedeutete auch, dass er zusätzliche Kilometer zwischen sich und die Drohungen des Kô brachte.
Wu erklärte ihm die Situation. »Wir sind das Schiff eines reichen Händlers aus Sarandib. Sie sind sein Unterhändler und führen wichtige Dokumente mit sich. Mit einem solchen Schiffsrumpf und einer britischen Fahne an unserem Flaggenmast wird uns keiner Fragen stellen.«
»Was für ein Glücksfall für uns, dass ich Englisch spreche.« Doch selbst das konnte den offensichtlichen Denkfehler in diesem Plan nicht ausgleichen. »Außer natürlich ein Luftschiff des Kaisers findet uns rein zufälligerweise und nutzt uns als Übungsziel.«
»Sie sind in letzter Zeit viel mehr mit anderen Luftschiffen beschäftigt und interessieren sich nicht für ein kleines Handelsschiff.«
»Wer kämpft mit wem?«, fragte Wang plötzlich besorgt. Das Himmlische Königreich hatte durch Hexerei bereits eine ganze Flotte verloren.
»Die Nanyang Navy mit den Briten, über der afrikanischen und indischen Küste.«
»Wer hat mit diesem Wahnsinn angefangen?«
»Ich weiß nicht.«
Wang ließ das Thema fallen. Diese Mission erforderte eine Gerissenheit, über die er nicht verfügte, und er war sich nicht sicher, wie er sich einbringen sollte. Er wünschte sich erneut – und diesmal mit ganzem Herzen –, dass er sich wieder in seiner Bibliothek befände. Die Goldene Brücke verstand er, aber diese Matrosen wohl kaum.
Kitchens
Die blutverschmierte Notiz zerbrach beim dritten Auffalten, aber sauber. Sie lag nun flach auf seinem Schreibtisch. Er setzte die auseinandergebrochenen Teile zusammen. Die Flecken waren als Tupfen in unterschiedlichen karmesinroten Tönen zu erkennen und bildeten ein Patchworkmuster aus Rot und Rosarot. Der Text – Kitchens war sicher, dass es sich hierbei um die Handschrift Ihrer Kaiserlichen Majestät selbst handelte – war mit einem Bleistift geschrieben worden. Die Buchstaben waren eilig hingeworfen und ließen sich nur schwer entziffern, auch wenn es durchaus noch Hinweise auf die Anmut gab, mit der die Königin ihre Anweisungen früher zu Papier gebracht hatte.
Hatte sie dies geschrieben, als sie in der Dunkelheit ihres Tanks schwebte? Kitchens wurde in diesem Augenblick klar, dass wenigstens ihre Hände außerhalb des Tanks gewesen sein und Zugang zu einer flachen Oberfläche gehabt haben mussten, auf die sie den Bleistift drücken konnte. Diese verdammte Zofe, Daphne, hätte der Queen sicherlich alles gebracht.
Widerwillig konzentrierte er sich auf den Inhalt der Notiz. Seine Augen überflogen die Handschrift, die der eines Betrunkenen ähnelte, und suchten nach verborgenen Hinweisen zwischen den Worten.
Nichts, was die Queen in diesen wenigen Zeilen ausdrückte, war dazu geeignet, seine Furcht zu beschwichtigen.
Die Worte der Queen stellten ihn gleich zweifach vor ein Problem. Wenn sie falsch waren, dann handelte es sich um eine Verschwörung, bei der Kitchens als Sündenbock für ein ungeheuerliches Verbrechen dienen sollte. Wenn die Worte sich als wahr erwiesen, dann enthielten sie einen schrecklichen Befehl seiner gekrönten Herrscherin, der ihn zum Komplizen eines ungeheuerlichen Verbrechens machen würde.
Er konnte keine Antwort erkennen, die in irgendeiner Weise irgendeinen Sinn ergab. Keine Handlung, keine Taten, kein Bericht, unter die ein kluger Mann seinen Namen setzen würde.
Er blickte erneut auf das blutbefleckte Rechteck hinab. Eine zittrige, krakelige Handschrift. Getrocknetes Blut, das auf dem Papier Krusten gebildet hatte. Die Erinnerung an Daphne, die Zofe der Queen, deren Augen zusammengenäht worden waren.
Die Worte lauteten:
Erneuere das, was zu Fall gebracht wurde.
Zerbrich meinen Thron.
Hilf mir, endlich zu sterben.
Wie konnte ein Mann im Anblick einer solchen Bitte seiner Monarchin schweigen? Was konnte er überhaupt tun?
Die Order ergab für ihn keinen Sinn, mit Ausnahme ihres Todeswunsches. Dass er einen Königsmord begehen würde, hatte er sich wahrlich nicht vorstellen können. Aber ihr blubberndes Gesicht ließ sich nicht aus seinen Erinnerungen löschen, sosehr er auch die Queen aus seinen Gedanken zu vertreiben versuchte.
Paolina
»Ihr wurdet geschickt?«, fragte Hethor. Geduld und Freundlichkeit schwangen in seiner Stimme mit.
Er ist so jung , dachte sie. Und zugleich so alt . »Ich habe auf der Mauer einen
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