Die Räder des Lebens
dann bestand der darin, dass man andere in ihrer Gänze betrachtete und nicht hochmütig von oben herab verurteilte.
Sie musterte eine Zeit lang seine Gestalt und fragte sich, welches Wort im innersten Inneren seines Wesens lag. Und welches Wort ihr Innerstes verbarg.
Am nächsten Morgen ging er neben ihr her. Dieser Abschnitt von a Muralha war zerklüftet und bestand aus zerbrochenen Felssäulen, deren zerbröckelnde Vorsprünge dazu bestimmt waren, in die See weit unter ihnen hinabzustürzen. Jemand hatte hier einen Weg angelegt, vielleicht das Salomonische Königreich von Ophir. An mehreren Stellen waren die unregelmäßig angeordneten Säulen innen ausgehöhlt worden, damit der Weg hindurchführen konnte. An anderen Stellen hatte man Brücken gebaut und Bermen angelegt, um den Reisenden dabei zu helfen, die Schluchten und Spalten zu überqueren, mit denen die Felsoberfläche durchsetzt war.
Bei diesem Wetter war die Mauer wunderschön. Ein Wolkenband schwebte nicht weit unter ihnen über dem Meer vorbei und präsentierte sich in einer lebendigen Mischung aus Licht und Schatten. Obwohl den ganzen Tag über die Sonne geschienen hatte, tröpfelte Wasser an der Felswand herunter, an der sie entlanggingen. Wenn Paolina ihre Finger über die bemooste, mit Klümpchen überzogene Oberfläche zog, holte sie mit dieser Bewegung nasskalten Tau herunter, der wie ein Mitternachtssturm schmeckte.
Die kleinen Brücken waren mit Pfosten gekennzeichnet, auf deren Oberseite eine sechsblättrige Blume eingeritzt war. Sie wusste, dass es sich dabei um das Siegel Salomons handelte.
»Erzähl mir vom Königreich«, bat sie schließlich den Messingmann, der nur wenige Schritte von ihr entfernt auf dem schmalen Pfad ging.
»Das Salomonische Königreich von Ophir wurde von König Salomon in den Tagen des Ersten Tempels gegründet.« Die Stimme des Messingmanns schien in einen langsamen Rhythmus zu verfallen. Paolina merkte, dass er ihr nichts erklärte, sondern dass er diese Geschichte auswendig hersagte. »Der mächtige König hatte im Himmel das Messing entdeckt, das auf der Mauer schillernd funkelte. Das Wesen der Welt und ihren Zweck kannte er nicht, und so besann er sich der Flüsse aus Gold, die ihm Gott, unser Herr, versprochen hatte. Auf seinen Befehl hin brach eine große Flotte auf, verließ den gewaltigen Hafen Ezion-Geber im Land der Heiligen Stunde in Richtung Süden, da sie dachten, dass dort, wo das Licht der Sonne am hellsten funkelte, das Gold fließen musste.«
»Salomon ernannte Admiral Alzabar zum Kommandanten dieser Flotte, aber er gab ihm auch einen Adjutanten, der der erste meinesgleichen sein sollte. Dies war ein Mann namens Messing. Salomon hatte Messing als Lehrer und Spielzeug für Rehabeam erschaffen, aber auch für einige der besten Söhne Salomons. Als Rehabeam das Mannesalter erreichte, hatte Salomon keine weitere Verwendung für Messing und schickte ihn daher als Admiral gen Süden.«
»Als sie sich der Küste Abessiniens näherten, wurden sie von einem schrecklichen Sturm überrascht, und ein großer Teil der Flotte erlitt Schiffbruch. Admiral Alzabar gab bei diesem Unglück sein Leben hin und mit ihm viele der fähigsten Kapitäne der Flotte. Messing übernahm das Kommando und brachte sie zur Mauer. Dort wusste er hervorragend zu handeln und füllte die verbliebenen Schiffe mit Gold, Silber, wohlduftenden Hölzern, Edelsteinen, Elfenbein, Affen und Pfauen. Messing schickte die schwer beladenen Boote zu seinem Herrn zurück und begab sich auf den Weg in den Dschungel, der am Fuß der Mauer liegt.«
»Messing stieg zu einem mächtigen und einflussreichen Herrscher auf, der die vielen Stämme aufsuchte und als Furcht erregende Kreatur im gleichen Maße Recht sprach, wie er Bestrafungen verhängte, je nachdem, wie ihn die Menschen empfingen. Er errichtete unser Königreich. Alle, die unter der Sonne wandeln und aus Metall bestehen, sind seine Kinder.«
Paolina wartete, bis es klar war, dass er nicht mehr weitersprach. »Wie soll ich dich dann nennen?«
»Messing. Wir werden alle Messing genannt.«
»Wenn du aus Metall bestehst, hast du dann eine Seele?«
Er blieb so abrupt stehen, dass sie beinahe in ihn hineingerannt wäre. Er drehte sich um und sah sie mit seinen seltsamen, mechanischen Augen an. »Wir sind Kinder des heiligen Königs Salomon, des Weisen.«
Es war eindeutig, dass er ihre Frage damit nicht beantwortete, aber dennoch lächelte Paolina.
»Natürlich.« Sie sprach weiter. »Und
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