Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
die jetzt in ihren Shorts sind, aber der Arm legt sich fester um ihren Bauch, und Onkel Vern sagt in ihr Ohr: »Halt still!« Er klingt nicht herzhaft und schmeichelnd, so wie sonst; er klingt verärgert. Er hält sie jetzt mit beiden Händen fest, er reibt sie auf sich vor und zurück, als wäre sie ein Waschlappen; sein stickiger Atem ist in ihrem Ohr. »Du hast deinen alten Onkel Vern doch gern, nicht wahr?« sagt er wütend.
    »He, ihr zwei«, ruft Tante Vi fröhlich die Kellertreppe hinunter. »Das Essen ist fertig! Es gibt Maiskolben!«
    »Wir kommen sofort!« ruft Onkel Vern mit heiserer Stimme, als würden die Worte durch einen Tritt in den Magen aus ihm herausgepreßt. Er schiebt einen seiner Finger in Karen hinein und stöhnt, als hätte ihm jemand ein Messer in den Leib gerammt. Er hält Karen noch eine Minute an sich gepreßt: die Energie leckt aus ihm heraus, er braucht einen Verband. Dann läßt er sie los.
    »Lauf nach oben«, sagt er zu ihr. Er bemüht sich um seine gekünstelte Stimme, seine Onkelstimme, aber er hat sie noch nicht wiedergefunden; seine Stimme klingt trostlos. »Sag deiner Tante Vi, daß ich in einer Minute oben bin.« Karen blickt an sich herunter, um zu sehen, ob die Rückseite ihrer Shorts bräunlich-grün ist, aber das ist sie nicht; nur naß. Onkel Vern wischt sich mit dem Handtuch von der Bar ab.
     
    Onkel Vern liegt auf der Lauer, im Hinterhalt. Karen versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, aber sie kann ihm nicht immer aus dem Weg gehen. Das Komische ist, daß Onkel Vern sie nie sucht, wenn Tante Vi nicht im Haus ist. Vielleicht liebt er die Gefahr, oder vielleicht weiß er, daß Karen, wenn Tante Vi da ist, nicht wagen wird, ein Geräusch zu machen. Es ist unklar, woher er das weiß, oder wieso es so ist, aber es stimmt. Karens Angst davor, daß Tante Vi etwas merken könnte, ist größer als ihre Angst vor Onkel Verns Wurstfingern.
    Bald ist ein Finger nicht mehr genug für ihn. Er stellt Karen vor sich, mit dem Rücken zu sich, so daß sie nichts sehen kann, klemmt sie zwischen seine großen Knie und schiebt seine Hände unter den Faltenrock ihrer Schuluniform und zieht ihr das Höschen herunter und steckt ihr von hinten etwas Hartes zwischen die Beine. Oder er benutzt zwei Finger, drei. Es tut weh, aber Karen weiß, daß Menschen, die einen lieben, schmerzhafte Dinge tun können, und sie gibt sich alle Mühe zu glauben, daß er sie liebt. Er sagt, daß er es tut. »Dein alter Onkel liebt dich«, sagt er zu ihr, während er sein Gesicht an ihrem reibt.
    Wenn sie hinterher beim Essen sitzen, lacht er häufiger, er spricht lauter, er erzählt Witze, er küßt Tante Vi auf die Wange. Er bringt ihnen beiden Geschenke mit: Pralinen für Tante Vi, Stofftiere für Karen. »Du bist wie unsere eigene Tochter«, sagt er. Tante Vi lächelt mit schmalen Lippen: niemand kann sagen, daß sie nicht das Richtige tun.
    Karen verliert den Appetit: die Anstrengung, nicht an Onkel Vern zu denken, sowohl wenn er da ist, als auch wenn er es nicht ist, macht sie schwach. Sie wird dünner und blasser, und Tante Vi spricht am Telefon über sie – »Es ist der Verlust ihrer Mutter, sie ist eine von der stillen Sorte, aber man merkt ihr an, daß sie es fühlt. Sie ist immer so bedrückt. Ich hätte nicht gedacht, daß es so lange dauert. Sie ist immerhin fast zehn!« Sie geht mit Karen zum Arzt, um untersuchen zu lassen, ob sie an Blutarmut leidet, aber das tut sie nicht.
    »Sag mir, was los ist«, sagt Tante Vi. »Es ist besser, wenn du darüber redest. Du kannst es mir ruhig sagen!« Sie hat diesen feierlichen, gierigen Ausdruck in den Augen, sie denkt, daß Karen über ihre Mutter sprechen wird. Sie läßt nicht locker.
    »Ich mag es nicht, wenn Onkel Vern mich anfaßt«, sagt Karen schließlich.
    Tante Vis Gesicht wird schlaff, dann verhärtet es sich. »Dich anfaßt?« sagt sie mißtrauisch. »Was meinst du damit, dich anfaßt ?«
    »Anfaßt«, sagt Karen jämmerlich. »Da unten.« Sie deutet mit dem Finger. Sie weiß jetzt schon, daß sie einen Fehler gemacht hat, daß sie etwas Unverzeihliches getan hat. Bis jetzt war Tante Vi bereit, sie hinzunehmen, sogar so zu tun, als hätte sie sie gern. Jetzt nicht mehr.
    Tante Vis Lippen sind weiß, ihre Augen funkeln gefährlich. Karen senkt den Blick auf den Fußboden, um diese Augen nicht sehen zu müssen. »Du bist genau wie deine Mutter«, sagt Tante Vi. »Eine Lügnerin. Es würde mich nicht wundern, wenn du auch verrückt würdest, genau wie sie.

Weitere Kostenlose Bücher