Die Räuberbraut
pflichtschuldigen Lächeln. Sie ist länger hier als Nicki.
Boyce ist in seinem Büro, das direkt neben ihrem eigenen liegt und in goldenen Lettern die Aufschrift Direktions-Assistent trägt. Boyce ist immer in seinem Büro, wenn sie zur Arbeit kommt. »Hi, Boyce«, sagt sie zu ihm.
»Guten Morgen, Mrs. Andrews«, sagt Boyce feierlich und erhebt sich. Boyce ist gewissenhaft formell. Jedes einzelne seiner leicht schütter werdenden kastanienbraunen Haare liegt an Ort und Stelle, der Kragen seines Hemdes ist blütenrein, sein Anzug ein Meisterwerk des Understatement.
»Sind wir soweit?« fragt Roz, und Boyce nickt.
»Kaffee?« fragt er.
»Boyce, Sie sind ein Engel«, sagt Roz, und Boyce verschwindet und kommt mit dem Kaffee zurück, er ist heiß und frisch, er hat ihn gerade erst gemacht. Roz ist stehengeblieben, damit sie jetzt das Vergnügen genießen kann, sich von Boyce den Stuhl zurechtrücken zu lassen, was er unverzüglich tut. Sie setzt sich so anmutig, wie es in diesem Rock möglich ist – Boyce bringt die Dame in ihr zum Vorschein, soweit man bei ihr von Dame sprechen kann –, und Boyce sagt, so wie er es ausnahmslos immer tut: »Ich muß sagen, Mrs. Andrews, daß Sie heute morgen ausgesprochen gut aussehen, und das Ensemble, das Sie tragen, ist wirklich sehr attraktiv.«
»Boyce, Ihre Krawatte ist wundervoll«, sagt Roz. »Sie ist neu, nicht wahr?« Und Boyce strahlt vor Freude. Das heißt, er glüht leise vor sich hin. Boyce zeigt nur selten die Zähne.
Sie betet Boyce an! Boyce ist einfach wundervoll. Sie ist von ihm so begeistert, daß sie ihn am liebsten knuddeln würde, obwohl sie es niemals wagen würde, etwas Derartiges zu tun. Weil Boyce das niemals gutheißen würde. Er ist die Reserviertheit in Person.
Boyce ist außerdem achtundzwanzig, zugelassener Anwalt, hochintelligent, und schwul. Er brachte sein Schwulsein sofort zur Sprache, gleich im ersten Bewerbungsgespräch. »Ich sage es Ihnen am besten gleich«, sagte er zu ihr. »Es erspart zeitraubende Spekulationen. Ich bin kreuzschwul, werde Sie jedoch in der Öffentlichkeit niemals in Verlegenheit bringen. Meine Hetero-Tour ist perfekt.«
»Danke«, sagte Roz, die sofort wußte, daß Boyce der Mensch war, der ihr gefehlt hatte. »Boyce, Sie sind eingestellt.«
»Sahne?« fragt Boyce jetzt. Er erkundigt sich immer, weil er Roz’ gelegentliche Diäten mutmaßt. Er ist so was von rücksichtsvoll!
»Bitte«, sagt Roz, und Boyce gießt ein und gibt ihr anschließend Feuer. Es ist schon erstaunlich, denkt sie, was man in dieser Stadt alles anstellen muß, um wie eine Frau behandelt zu werden. Nein, nicht wie eine Frau. Wie eine Lady. Wie eine Lady-Direktorin. Boyce hat ein sicheres Gefühl für Stil, das ist es, und für Schicklichkeit. Er respektiert Hierarchien, er weiß gutes Porzellan zu schätzen, er bleibt beim Malen mit Buntstiften innerhalb der vorgegebenen Linien. Er mag die Tatsache, daß es eine Leiter gibt, eine Leiter mit Sprossen, weil er sie nämlich hinaufklettern möchte. Und genau das wird er tun, wenn Roz ein Wörtchen mitzureden hat, denn Boyce hat wirkliches Talent, und sie ist mehr als willens, ihm zu helfen. Im Austausch gegen seine Loyalität, versteht sich.
Was Boyce seinerseits von ihr hält, entzieht sich ihrer Kenntnis. Obwohl sie hofft, daß er sie um Himmels willen nicht als seine Mutter sieht. Vielleicht sieht er sie als großen, weichgepolsterten Mann im Fummel. Vielleicht haßt er Frauen, vielleicht möchte er eine sein. Wen interessiert das, solange er die Leistung bringt, die von ihm erwartet wird?
Es interessiert Roz, aber mehr Nähe kann sie sich nicht leisten.
Boyce schließt die Bürotür, um dem Rest der Welt zu verstehen zu geben, daß Roz beschäftigt ist. Er schenkt sich selbst einen Kaffee ein, summt Suzy an, um sie zu bitten, keine Anrufe durchzustellen, und liefert Roz das erste, was sie jeden Morgen sehen will, nämlich seinen Bericht darüber, wie ihre verbleibenden Aktien stehen.
»Was meinen Sie, Boyce?« sagt Roz.
»Noch eine halbe Meile, eine halbe Meile voran, in das Tal des Todes ritten die fünfhundert Mann«, sagt Boyce, der sowohl gerne liest als auch zitiert. »Tennyson«, fügt er zu Roz’ Information hinzu.
»Das hab ich ausnahmsweise selbst gewußt«, sagt Roz. »Es sieht also schlecht aus?«
»Alles zerfällt, die Mitte hält es nicht«, sagt Boyce. »Yeats.«
»Abstoßen oder halten?« fragt Roz.
»Der Weg hinunter ist der Weg hinauf, Eliot«, sagt Boyce.
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