Die Raffkes
erklärte Mann hohl.
»Blum hat mir Bescheid gesagt, ich weiß. Keine schlechte Taktik, finde ich. Aber pass auf dich auf. Das wird bestimmt kein Spaziergang.«
»Ich will wissen, ob ich dich anrufen kann, wenn ich mal nicht weiterweiß.«
»Kein Problem. Aber ich kann dich beruhigen, Blum weiß genau, was er tut.«
»Im Zweifelsfall werde ich keine Freunde mehr haben«, murmelte Mann, als er aufgelegt hatte. »Ziemann hatte auch wenig Freunde.«
ACHTES KAPITEL
»So ähnlich muss das auf der Titanic gewesen sein. Nur wissen hier die meisten, dass spätestens in ein paar Tagen der Eisberg vorbeikommt.« Tante Ichen lächelte beglückt. Das Zelt, auf berlinisch ›Tipi‹ genannt, war brechend voll und die Leute schienen sich grenzenlos zu amüsieren. In der Zeltglocke herrschte ein fast schmerzhafter Lärm und die Musiker bewegten sich tapfer in einem Takt, den niemand hören konnte. »Wer sitzt außer uns noch an diesem Tisch?«, fragte Mann. Es standen fünf Stühle um den Tisch. »Niemand«, beschied ihn seine Tante. »Die drei Stühle sind für Besucher bestimmt. Du wirst sehen, wer mich mag. Und du hättest doch besser eine Krawatte umgebunden.« »Ich hasse Krawatten.« »Sieh mal, da ist Markus Sittko. Und sieh mal, wen er mitgebracht hat. Ist der Kleine nicht süß!«
Sittko war ein mittelgroßer, braun gebrannter Mann mit kurzen dunklen Haaren und Händen, die dauernd in Bewegung waren. Er erzählte seinem jungen Begleiter etwas, lachte, beschrieb mit den Händen weiche Linien, lachte wieder, wedelte dann mit diesen Händen, als bekäme er zu wenig Luft. Am kleinen Finger der rechten Hand schimmerte ein schlichter Goldring. In der Linken hielt er ein Sektglas, entdeckte plötzlich Tante Ichen, knickte seltsam abrupt und theatralisch in der Hüfte nach vorn ein und deutete eine Verbeugung an, die wie eine turnerische Übung wirkte.
»Meine Liebe!«, flüsterte er sonor über drei Tische hinweg. »Wir sehen uns noch!«
»Wir sehen uns«, nickte Tante Ichen aufgeregt. Ohne die Lippen zu bewegen, zischte sie: »Den er da bei sich hat, nennt er einen Junior Consultant. Wir nannten das früher Lehrling. Er hat jede Menge von diesen Junioren. Und wenn so ein Junge brillant im Bett ist, darf er übermorgen für die Fonds ein Einkaufscenter in Dresden-Südwest kaufen. Der Kleine da fährt schon einen 3er BMW.«
»Das ist doch ein Spielzeug für Kinder und du bist eine gehässige alte Frau.«
»Das mag sein, mein Lieber. Aber wenn man aus absolut sicheren Quellen weiß, dass sich Aufsichtsräte drei Stunden lang über die Wagen unterhalten, die sie gestellt bekommen, und nicht wenige von ihnen gleich drei davon fahren, dann kann man ermessen, welche Bedeutung diese Blechbüchsen für manche Leute haben. Und Sittko ist eine einsame Spitzenkraft, was die Dienstwagen seiner so genannten Nachwuchskräfte anlangt. Die Bank genehmigt nur das blanke Autochen. Aber Sittko biegt es so hin, dass das Autochen bei den nächsten Inspektionen so weit aufgerüstet wird, dass es zum Schluss doppelt so teuer ist wie ursprünglich eingekauft. Na, ist das nicht eine soziale Tat, verdient er dafür nicht ein ungeheueres Maß an Liebe?«
»Du bist trotzdem eine gehässige alte Frau«, sagte Mann und strich ihr liebevoll über den Arm. »Übrigens sieht dieser Sittko ausgesprochen fade aus.«
Auftritt Ulf Blandin, die Mikrofone wurden in die richtige Höhe gebracht. Blandin wirkte gelassen, lächelte leicht, aber in seinem Blick war so etwas wie Verachtung zu lesen. Er begann: »Liebe Freunde, liebe Begleiter auf meinem langen Lebensweg …« Dank, führte er leicht nuschelnd aus, könne man nicht erwarten, auch wenn man ein Leben lang im Dienste dieser Stadt unterwegs gewesen sei, auch wenn man vielen dabei geholfen habe, hier ein Zuhause zu finden, hier arbeiten zu dürfen. Fehler, sagte er, seien zutiefst menschlich, seien auch ihm passiert. Und trotzdem: Hätte er die Möglichkeit, er würde alles genauso wieder machen, wie er es gemacht hatte. »Ich wünsche Ihnen allen von Herzen eine beschwingte Sommernacht. Und denken Sie daran, die Häme der anderen ist nichts als Neid. Neid auf Ihre fantastische Arbeit!«
Dann trat Dreher an das Rednerpult, ein Mann ohne jede erkennbare besondere Eigenschaft, gerade wie ein Ladestock, so erschreckend perfekt in Anzug, Weste und Krawatte, dass niemand ihm eine Falte wünschen konnte. Sogar sein Gang war ohne persönliche Note.
»Wir geben nun bald den Stab ab. Wir geben den Stab an die Nächsten
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