Die Ranch
schaute Mary Stuart ärgerlich an. »Außerdem würden wir es nicht zulassen. Am besten nehmen wir dich als Geisel.«
Zoe lachte und weinte.
Erschrocken über diesen Aufruhr der Gefühle, neigte Mary Stuart sich hinab. Und da entdeckte sie in den Augen der Freundin abgrundtiefe Verzweiflung und Angst. Sie musste es noch einmal versuchen. Selbst wenn sie indiskret war – sie wollte ihr helfen. »Verschweigst du uns etwas? Willst du uns irgendwas anvertrauen?« Sie spürte, dass eine schwere Last auf Zoes Seele lag – ein Grauen, das sie nicht in Worte zu fassen wagte.
Zoe gab keine Antwort, und Tanya, die bereits zur Tür gegangen war, drehte sich um, von einer bösen Ahnung erfasst.
Um Himmels willen – litt Zoe an Krebs? »Nun? Was ist los mit dir?«
Neue Tränen verschleierten Zoes Blick, und ihre Stimme war kaum zu hören. »Ich habe Aids.« Fassungslose Stille erfüllte den Raum. Wortlos nahm Mary Stuart ihre Freundin in die Arme und begann zu weinen. Eine Krebserkrankung hätte man vielleicht heilen können, Aids nicht.
»Oh, mein Gott!« Tanya eilte ins Zimmer zurück und setzte sich auf die andere Seite des Betts. »Warum hast du uns nichts gesagt?«
»Ich weiß es erst seit zwei Wochen. Und ich wollte es niemandem erzählen. Wenn meine Patienten von meiner Krankheit erfahren – wie kann ich sie dann noch betreuen? Ihnen zuliebe muss ich stark bleiben. Natürlich habe ich lange und gründlich über meine Infektion nachgedacht und mich gefragt, was sie für meine Zukunft bedeutet, für meinen Beruf – und mein Baby. Keine Ahnung, was nach meinem Tod mit Jade geschehen soll – oder wenn's mir immer schlechter geht …« Beklommen schaute sie von einer Freundin zur anderen. »Wärst du bereit, Tan – oder du, Stu …?«
Ohne Zögern nickte Tanya. »Ich würde sehr gern für deine Tochter sorgen.«
»Und ich auch«, beteuerte Mary Stuart, »wenn Tanya aus irgendwelchen Gründen verhindert ist.«
»Aber wenn Bill dagegen ist?«, wandte Zoe ein.
»Ich werde ihn verlassen. Sollte ich mich anders besinnen, würde ich mich ganz sicher von ihm trennen, falls er sich weigert, Jade aufzunehmen.«
»Mir
darf niemand Vorschriften machen«, betonte Tanya lächelnd und ergriff Zoes schmale, eiskalte Hand. »Nun musst du dich vor allem um dich selbst kümmern, das bist du deinem Kind schuldig, deinen Patienten und uns beiden. Hast du diesen Arzt informiert, der dich in der Klinik vertritt? Damit du dich nicht überanstrengst, wirst du seine Hilfe brauchen.«
Auf diesen Punkt hatte auch Dr. Kroner hingewiesen. Aber Zoe mochte Sam nicht einweihen. Es genügte, wenn Tanya und Mary Stuart Bescheid wussten. Sie würden sich jetzt unentwegt um sie sorgen und ihr erklären, was sie tun oder lassen sollte. Andererseits würden sie ihr liebevoll beistehen, und deshalb war sie froh, dass sie ihr die Wahrheit entlockt hatten. Und das wichtigste Problem war gelöst: Tanya wollte Jade zu sich nehmen; was hoffentlich noch lange dauern würde. »Nein, Sam darf nichts erfahren. Diese Neuigkeit würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten und meinen Einfluss auf die Patienten schmälern.«
»Ganz im Gegenteil«, widersprach Mary Stuart, »sie hätten das beruhigende Gefühl, dass du genau weißt, wovon du redest. Übrigens«, fügte sie etwas verlegen hinzu, »wie hast du dich angesteckt?«
»Mit einer Nadel. Ein aidskrankes kleines Mädchen, dem ich Blut abnahm, schlug um sich, und dabei stach ich mich. Das hat mich damals beunruhigt, aber dann vergaß ich's, bis mir immer wieder schlecht wurde. Eine Zeit lang verdrängte ich meine Angst, dann ließ ich mich schließlich testen. Kurz bevor ich dich anrief, Tanny, erfuhr ich die Wahrheit.«
»Ich kann's noch immer nicht glauben«, flüsterte Tanya erschüttert.
»Sobald sich mein Magen beruhigt, wird's mir etwas besser gehen.« Allmählich kehrten Zoes Kräfte zurück, und sie bedauerte, dass sie ihren Freundinnen so viel Kummer bereitete. »Lasst mich jetzt allein. Ihr dürft nicht den ganzen Tag hier herumsitzen.« Bald würde man im Ranchhaus den Lunch servieren.
»Nur wenn du versprichst, dich auszuruhen«, erwiderte Tanya, und Zoe nickte.
»Wahrscheinlich werde ich stundenlang schlafen und mich am Abend hoffentlich wieder wie ein Mensch fühlen.«
»Bis morgen Abend musst du auf die Beine kommen, damit wir alle den Twostepp lernen können«, meinte Mary
Stuart. »Nur, um Prioritäten zu setzen …« Alle drei lächelten unter Tränen und hielten sich an den
Weitere Kostenlose Bücher