Die Ranch
testen lassen, und sie wusste auch, wie es zu der Infektion gekommen war. Vor fast einem Jahr hatte sie sich versehentlich mit einer verunreinigten Nadel gestochen, beim Bluttest bei einem kleinen Mädchen, das im April an Aids gestorben war.
Sie dankte dem Laboranten. Langsam legte sie auf und fühlte sich so wie alle ihre Patienten, wenn sie die Wahrheit erfuhren. So als würde die Welt einstürzen.
Positiv
… Sie war an Aids erkrankt. Was sollte mit Jade geschehen? Wie lange konnte sie noch arbeiten? Wer würde für sie sorgen, wenn sie schwach und hilflos war? Was sollte sie jetzt tun?
Während sie über ihr grausames Schicksal nachdachte, wurde sie von der Intensität ihrer Emotionen überwältigt. Wochenlang hatte sie die Wahrheit geahnt und immer wieder verdrängt, seit der sonderbaren kleinen Wunde an der Unterlippe, die rasch wieder verschwunden war – ihr Verdacht nicht. Schließlich war sie durch ihr Fachwissen gezwungen, sich testen zu lassen. Vor lauter Sorge hatte sie Dick Franklin zwei Wochen lang nicht getroffen, obwohl sie bei ihren Liebeserlebnissen strenge Vorsichtsmaßnahmen ergriff, seit ihr Liebhaber damals an Aids gestorben war. Davon hatte sie allen Männern in ihrem Leben erzählt, auch Dick Franklin. Niemals hatte sie ihn einem Risiko ausgesetzt. Jetzt würde sie ihm von ihrer Krankheit erzählen müssen. Sie schreckte zurück, denn er würde wohl kaum für sie sorgen – und nicht einmal Mitgefühl zeigen. Immer wieder hatte er sie vor der Gefahr gewarnt, der sie sich in ihrer Klinik aussetzte. Und die schon vielen Aids-Spezialisten zum Verhängnis geworden war.
Trotz der guten Freundschaft und der geteilten Interessen – Dick war nicht der Typ, von dem man in schwierigen Situationen Hilfe erwarten durfte. Mit einem solchen Mann verbrachte man nette, amüsante Abende, aber man konnte ihn nicht mit Problemen belasten. Zweifellos würde er entsetzt reagieren, wenn er die Wahrheit erfuhr, und die Beziehung beenden. So wie viele Dinge ein Ende haben würden, außer ihre Berufstätigkeit – vorerst zumindest. Mühsam kämpfte sie mit den Tränen. Sie musste sich zusammenreißen, ihre Patienten warteten … Plötzlich konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. »Ist noch jemand da?« Sam Warner schaute zur Tür herein. Beim Anblick ihrer unglücklichen Miene erschrak er. »Bist du okay? Du siehst grässlich aus.«
»Ich glaube – ich bin erkältet«, antwortete sie mit schwacher Stimme.
»Dann solltest du schleunigst aus der Klinik verschwinden. Deine Patienten können sich nicht einmal einen Schnupfen leisten.«
»Ich werde einen Mundschutz tragen.« Mit zitternden Fingern wühlte sie in einer Schreibtischschublade, und Sam beobachtete mit wachsender Sorge, wie sie den Mundschutz erfolglos anzulegen versuchte. Aber er schwieg. »So schlimm ist's nicht«, versicherte sie. »Nur Kopfschmerzen …«
»Du bist völlig fertig.« Energisch nahm er das Stethoskop von ihrem Hals und legte es auf den Tisch. »Fahr nach Hause, ich kümmere mich um die Patienten – kostenlos. Ein Geschenk von mir. Manche Leute wissen einfach nicht, wann sie eine Erholungspause brauchen.« Viel sagend drohte er ihr mit dem Finger, schob sie zur Tür hinaus, und sie wehrte sich nicht.
Plötzlich stockte ihr Atem. Unvorstellbar … Sie litt an Aids – an der furchtbaren Krankheit, die schon so viele ihrer Patienten in den Tod getrieben hatte. Aber noch war ihr Leben nicht zu Ende, und wenn sie entsprechend behandelt wurde, blieben ihr noch einige Jahre. Doch der Virus lauerte in ihrem Blut wie ein Heckenschütze oder eine Zeitbombe.
»Fahr nach Hause«, wiederholte Sam, »und leg dich ins Bett. Später komme ich vorbei.«
»Nicht nötig, und vielen Dank …« Er war so gut und freundlich, und er konnte großartig mit ihren sterbenden Patienten umgehen. Sollte sie ihm anvertrauen, was sie soeben erfahren hatte? Nein, niemand sollte es wissen. Noch nicht. So lange sich die Tatsachen verheimlichen ließen, würde sie weder ihre Freunde noch die Krankenschwestern einweihen. Nur Dick Franklin. So vorsichtig sie auch im Bett waren – sie konnte es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, ihrem Liebhaber die bittere Wahrheit zu verschweigen, wenn sie auch nicht beabsichtigte, je wieder mit ihm zu schlafen. Weiter würde sie den Albtraum mit niemandem teilen. Solche Dinge behielt sie stets für sich. Zoe Phillips weinte nicht an den Schultern anderer Leute.
Aber sie weinte während der ganzen Heimfahrt in ihrem
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