Die Ranch
Nun, das konnte sie den beiden später immer noch erklären. Und wenn sie erst mal beisammen waren, würden sie sich sicher versöhnen. »Nein, ich fahre allein hin«, log sie, informierte die Freundin über die Einzelheiten und schlug ihr vor, direkt nach Jackson Hole zu fliegen. Wenn Zoe nach L.A. käme, um im Wohnmobil nach Wyoming zu fahren, würde Mary Stuart womöglich abspringen. Auf der Ranch konnten sie ein grandioses Wiedersehen feiern, doch vorher durfte Tanya den beiden keine Gelegenheit geben, einen Rückzieher zu machen.
»Nur für eine Woche«, erklärte Zoe. Schon jetzt geriet sie in Panik bei dem Gedanken, ihre Patienten im Stich zu lassen. Trotzdem musste sie sich erholen, um Kräfte zu sammeln.
»Okay. Vielleicht können wir dich zu einer zweiten Woche überreden, wenn du erst mal da bist.« Einfach himmlisch, dachte Tanya, ein Urlaub mit den beiden alten Freundinnen …
»Wir? Nimmst du noch jemanden mit?«
»Nein, nein … Und dein Baby?«
»Dafür ist Jade noch zu klein. Außerdem muss ich mich mal von meinem Alltag erholen«, fügte Zoe hinzu, obwohl sie wusste, wie schwer ihr die Trennung von ihrer Tochter fallen würde.
»Du bist doch okay?« Irgendein Unterton in Zoes Stimme beunruhigte Tanya und erinnerte sie an Ellies Todestag.
Aber Zoe versicherte, es gebe keine Probleme. »Ich kann's kaum erwarten, dich wieder zu sehen.«
Und wenn alles gut geht, wirst du auch Mary Stuart in die
Arme schließen, hoffte Tanya. Dann sind wir wieder zusammen, wie in alten Zeiten.
»Also, wir treffen uns in Wyoming.«
»Bis bald.« Lächelnd legte Zoe auf und sank in die Kissen zurück.
Es sah ihr gar nicht ähnlich, alles liegen und stehen zu lassen. Doch sie hatte keine Wahl. Was immer nötig war, um ihr Leben zu verlängern – sie musste es tun. Seit Jades Adoption erschien ihr das Leben kostbarer denn je. Sie wollte mit aller Macht um das Glück kämpfen, das ihr die kleine Tochter schenkte, und dabei würde ihr die Reise nach Wyoming helfen.
9
In der nächsten Woche arbeitete Sam ein paar Stunden mit Zoe zusammen, um sich mit den Patienten vertraut zu machen. Einige kannte er vom Nachtdienst her, den er gelegentlich übernommen hatte. Als er die Krankenblätter studierte, staunte er über die Vielzahl der Aidskranken, die Zoe betreute, von denen etwa fünfzig nicht mehr lange leben würden.
Täglich kamen neue Patienten hinzu. Sie wurden von Freunden oder Verwandten in die Klinik gebracht. Und manche kamen aus eigenem Antrieb zu Dr. Phillips, weil sie von ihr gehört hatten. Niemand wurde abgewiesen. Vor allem das Leid der kleinen Patienten ging Sam sehr nahe. Bei diesem Anblick war man dankbar für jedes gesunde Kind, das man jemals gesehen hatte. Sam verstand, welch großen Trost Zoe bei ihrer bezaubernden, kerngesunden Tochter fand.
»Kaum zu glauben, wie viele Patienten du täglich betreust«, meinte er eines späten Nachmittags. »Kein Wunder, dass du dauernd müde bist …«
Es wäre so leicht gewesen, ihm von ihrer Aidserkrankung zu erzählen. Doch das ging ihn nichts an. Sie hatte bereits beschlossen, niemandem zur Last zu fallen und Geld für die Zeit zu sparen, wo sie nicht mehr arbeiten konnte und eine
Pflegerin brauchte. Ihr einziges Problem war das Kind. Wenn sie starb – was sollte mit Jade geschehen? Darüber musste Zoe gründlich nachdenken, so schwer es ihr auch fiel. Einerseits rebellierte sie gegen ihr Schicksal, andererseits hatte sie sich damit abgefunden. Welch ein tragisches Ende einer wunderbaren beruflichen Laufbahn …
Doch sie wollte sich nicht in ihrem Selbstmitleid vergraben, sondern die Zeit genießen, die ihr noch blieb. Vielleicht Jahre, sogar ein Jahrzehnt. Manche Aidskranke lebten erstaunlich lange. Um dieses Ziel zu erreichen, würde sie ihr Bestes tun, und dazu gehörte der Trip nach Wyoming. Ruhe, gesunde Bergluft, das ermutigende Wiedersehen mit ihrer alten Freundin Tanya.
»Was für ein schrecklicher Fall!«, unterbrach Sam ihre Gedanken und reichte ihr das Krankenblatt eines schwer kranken jungen Mannes im letzten Stadium der Aids-Demenz. Er würde bald sterben. Er hatte sein Leiden monatelang tapfer bekämpft.
Jetzt konnte Zoe ihm kaum noch helfen, nur die letzten Stunden erleichtern und seine Freundin trösten, die ihn täglich besuchte. Das alles erklärte sie Sam.
Traurig schüttelte er den Kopf. Sie leitete eine unorthodoxe Klinik, setzte kreative Behandlungsmethoden ein, und ihr Engagement für die Patienten bewegte ihn zutiefst. Um
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