Die Rastlosen (German Edition)
nicht, dass du hier wie ein tollwütiges Tier auf und ab tigerst? Ich habe sehr wohl gesehen, wie die Zeit vergeht. Das hat mich rasend gemacht, aber die waren alle so verschnarcht, ich hätte gut die ganze Nacht auf ihrem verfluchten Parkplatz verschimmeln können.«
»Du riechst nach Schweiß. Das rieche ich von hier aus.«
»Tja, das wundert mich nicht. Das war nicht so gemütlich, wie du es dir vorstellst. Ich war stinksauer, das kannst du dir ja denken. Fast hätte ich diesen Automaten demoliert, der mir ad nauseam wiederholte, dass mein Ausfahrtschein ungültig sei. Diese ganze Technologie treibt uns noch in den Wahnsinn, oder?«
Er wunderte sich, mit welcher Leichtigkeit er diese Unterhaltung führte, wie einfach diese Worte aus seinem Mund hervorsprudelten. Die Frau, die er bis vor wenigen Augenblicken in seinen Armen gehalten hatte, war immer noch da. Sie beschäftigte ihn so sehr, dass dieses Gespräch einem Wunder gleichkam.
So auch am nächsten Morgen. Myriams Bild schoss ihm als Erstes durch den Kopf, als er die Augen öffnete. Er hatte tief geschlafen, wie ein Toter. Jetzt ging er hinunter und presste Orangen aus, machte Toasts, bestrich sie mit Butter und Konfitüre, füllte eine Schüssel mit Haferflocken und übergoss sie mit Ahornsirup, denn Mariannes Gesundheit lag ihm am Herzen, und er wünschte sich, dass sie wieder Farbe im Gesicht hatte, wenn der Frühling einzog. Er räumte alles auf ein Tablett, das er leise summend in ihr Schlafzimmer trug. Sie schlief noch. Oder tat zumindest so.
Er stellte das Tablett ab und setzte sich neben sie ins Halbdunkel. Der Geruch in diesem Zimmer war wirklich verwirrend, so war es schon immer gewesen. Der Geruch in diesem Zimmer am Morgen, wenn Marianne noch schlief – als wäre während der Nacht ein Teil ihres Körpers verdunstet und schwebte nun in der lauen Luft.
Er wollte ihr jede Menge Ratschläge erteilen, begnügte sich aber damit, den Mund aufzumachen und ihn eine Weile halb geöffnet zu lassen, dann schlossen sich seine Lippen wieder. Nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte, zog er ein Notizbuch aus der Tasche und schrieb ihr ein paar Zeilen. Ein schöner Tag kündigte sich an, hell und frisch – einige seiner Kristallklingen drangen bereits durch die Schlitze zwischen den Vorhängen. Der Kraftakt bestand darin, dass – während er diese zwei oder drei Sätze formulierte, ja jeden einzelnen Buchstaben schrieb – Bruchstücke des gestrigen Beischlafs vor seinem inneren Auge vorüberzogen, wie Myriam und er es in dem winzigen und unwürdigen Auto machten, und dass diese Erinnerungen ihn insgeheim erschütterten.
Er bereute keineswegs, dass er sich diesem Abenteuer hemmungslos hingegeben hatte – es zählte zu seinen besten, was den Sex anbelangte –, aber er konnte auch in etwa abschätzen, wie gefährlich es war, oder nein, besser gesagt konnte er rein gar nichts abschätzen, denn eigentlich stand er vor einem Abgrund. Und wusste nicht recht, was er von den Ereignissen halten sollte. Von diesem unbekannten Terrain, auf das er sich vorgewagt hatte – er kannte sich nur mit Studentinnen aus, mit Frauen der gefügigen Art, weiter reichte sein Wissen nicht. Er musste weiterhin auf der Hut sein. Myriam konnte grundlegende Veränderungen hervorrufen, die nicht wieder rückgängig zu machen waren. Sein Instinkt sagte ihm das ganz deutlich. Sein Körper verstand die Botschaft ihrer elektrisierenden Wirkung ganz genau, diese feinen Schwingungen. Sein Verstand schien hingegen nicht bereit, Alarm zu schlagen.
Kurz vor seinem Seminar sprach ihn Richard Olso in der Eingangshalle an und erkundigte sich nach Marianne. »Ich möchte sichergehen, dass Sie alles Notwendige veranlasst haben, mein Lieber, ganz sicher.« Er fügte hinzu, dass er sie später noch besuchen werde. Wenn Marc nichts dagegen habe. Beide lachten gezwungen.
Der Fachbereich hatte eine Reihe von Vorträgen und Treffen mit kompetenten Drehbuchautoren aus Hollywood organisiert, und alle Studenten wollten lernen, wie man eine Serie oder sonst irgendetwas entwickelte, das Millionen einbrachte und einem das Privileg verschaffte, an Steven Spielbergs Tisch abendzuessen – oder gar mit Nicole Kidman Kaffee zu trinken. Er nutzte die gähnende Leere in seinem Seminarraum und ließ seinen Auspuff austauschen, damit er den Fiat im Zweifelsfall diskreter benutzen könnte. Wenn er noch einen Funken Verstand hatte, wäre es sicherlich das Klügste, sie nicht wiederzusehen und sie so
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