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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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ihre Tiefe machte sie endgültig und vollkommen. Er warf ein paar unterwegs gepflückte Krokusse hinein und zündete sich eine Zigarette an – jede war noch schmackhafter als die vorhergehende.
    Vielleicht würde er mit Annie Eggbaum schlafen müssen, um die Sache aus der Welt zu schaffen, überlegte er zerstreut. Zumindest, wenn sie eine allzu radikale Haltung einnahm und wegen seiner Rüpelhaftigkeit schwere Geschütze auffahren wollte.
    Allerdings war ihm der Gedanke an zwei Beziehungen gleichzeitig ziemlich unangenehm und löste eine gewisse Beklemmung aus, die auch das Rauchen einer Zigarette – einer Winston – an der frischen Luft, noch dazu an so einem angenehmen Frühlingsmorgen, nicht zu zerstreuen vermochte. Bestimmt gab es Leute, die die Herausforderung durch das Unbekannte suchten, damit einen unübertrefflichen Orgasmus herbeiführten, aber zu denen gehörte er nicht, ganz und gar nicht. Er hatte genug von Abenteuern, Zitterpartien, Kehrtwendungen, Manövern, Überraschungen, Freud und Leid usw., so dass er dieser Prüfung keineswegs händereibend und ungeduldig mit den Hufen scharrend entgegensah. Das Unbekannte reizte ihn kein bisschen, im Gegenteil. Das Unbekannte erschien ihm als glitzernder Nebel, so dicht wie Schaum, in dem sich alle nur erdenklichen Fallen und Ärgernisse verbargen. Das kannte er.
    Seit vielen Jahren wünschte er sich Stabilität. Vieles hatte sich gebessert, seit er begriffen hatte, dass aus ihm niemals ein Schriftsteller werden würde, niemals würde er ein richtiger Schriftsteller sein. Besser, man wusste Bescheid. Für ihn war das ein großartiger Neuanfang. Ihm war klar, welche Bürde ihm erspart blieb. Sicherlich war in seinem Inneren etwas zerschlagen, ja zermalmt worden, aber was bedeutete das letzten Endes doch für eine Erleichterung, was für eine Befreiung. Manchmal erschauerte er allein bei dem Gedanken an das wunderliche, mönchische Leben, dem er entgangen war – das am Ende auf das Gleiche hinauslief, wie ein radioaktives Produkt mit bloßen, bald verbrannten Händen zu bearbeiten, oder wie Asbest zu atmen, nämlich eine schleichende Vergiftung. Kein wahrer Schriftsteller entging diesem Schicksal. Kein einziger. Diese Kerle waren nicht zu beneiden. Diese Kerle ließen sich das Herz ausreißen, ohne mit der Wimper zu zucken. Die meisten seiner Studenten glaubten, das sei ein Beruf wie jeder andere. Sie ließen sich nicht vom Gegenteil überzeugen.
    Annie Eggbaum piesackte ihn seit Monaten, damit er ihr gewisse geheime Kniffe offenbarte, mit denen man einen Roman zustande bringen konnte, und solche Fragestunden endeten gewöhnlich an einem ruhigen Ort, an dem man vor Blicken sicher und höchste Diskretion gewährleistet war, aber diesmal gestaltete sich das Programm wohl etwas komplizierter. Er ging weiter. Die Erinnerung an Myriam, die sich im Fiat auf ihn setzte – eine Stellung, die er schon oft praktiziert hatte, ohne sie als einen Höhepunkt seiner sexuellen Erfahrungen zu betrachten –, überwältigte ihn regelmäßig mit derselben Heftigkeit. Was sollte er damit anfangen, fragte er sich, während er sich auf den Nachhauseweg begab, was sollte er mit diesem Meteoriten anfangen, der in seinen Garten gefallen war? Es mit Humor zu nehmen brachte ihn auch nicht weiter.
    Bei seiner Rückkehr wäre er fast von einem Herzinfarkt dahingerafft worden, als er im Wohnzimmer Myriam sah, die mit seiner Schwester bei einer Tasse Kaffee saß, und seine Schwester sagte:
    »Na also, da ist er ja, Sie haben Glück, da ist er, das hätte auch viel länger dauern können, stimmt’s, Marc?«
    Er nahm sich einen Stuhl.
    »Du sagst gar nichts. Sag doch was«, meinte Marianne.
    »Das ist die Stiefmutter von Barbara.«
    »Ich weiß. Wir haben uns schon vorgestellt.«
    »Ich habe dir von ihr erzählt.«
    Myriam schob ein paar Hefte zu ihm herüber. »Das habe ich gefunden«, erklärte sie. »Die wollte ich Ihnen zeigen. Mir ist klar, wie sehr ich Sie überrumple, tut mir leid, aber ich hatte Ihre Telefonnummer nicht.«
    Er wechselte einen kurzen Blick mit seiner Schwester, dann zog er die Hefte zu sich, setzte seine Brille auf und blätterte eine Weile darin – er war aber mehr damit beschäftigt, sich wieder zu beruhigen, als die Arbeiten von Barbara zu beurteilen, mochten diese auch wirklich so interessant sein, wie ihre Stiefmutter behauptete. Er fragte sich, ob seine Stirn glänzte, ob sein Lächeln nicht zu einer Grimasse verzerrt war, ob nicht irgendetwas die Verwirrung

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