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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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und zu tropfte irgendwo leise Wasser von einem Blatt in den Teich, während im blakenden Licht der Gaslampen riesige Pflanzen aus ihren Schatten wucherten – Boten einer fremden Welt, die Emily nicht mehr verstand.
    Vom schwarzgrünen Grund des Teiches sah sie ihr Spiegelbild aufsteigen, wie ein Gespenst trat es ihr entgegen: ein hageres Gesicht, ein knochiger Körper, verhüllt von ein paar Fetzen Stoff. Cole hatte ihr das Gefühl gegeben, eine Frau zu sein, liebenswert, hübsch, und sie war auf seine Lügen hereingefallen, Tage, Wochen, Monate, wie eine Idiotin, geblendet von seinem Witz, von seinem Charme, von seinem Esprit, unter dessen brillanter Oberfläche sie ein faszinierendes Geheimnis vermutet hatte. Jetzt kannte sie dieses Geheimnis – ein so schäbiges, schmutziges, scheußliches Geheimnis, dass sie davon erbrechen musste.
    Sie beugte sich über den Beckenrand, und wie früher als Kind vor dem Spiegel begann sie zu grimassieren, kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, krauste die Nase, stülpte die Lippen auf, um sich selbst nicht mehr erkennen zu müssen in den Zuckungen ihrer Züge. Doch je fremder sie sich mit jeder Fratze wurde, umso unausweichlicher wurde die Gewissheit, dass immer wieder sie es war, die da ihr Gesicht verzog und verzerrte: Miss Emily Paxton, die Tochter des berühmten Joseph Paxton und ehemalige Verlobte Henry Coles. Sie streute eine Handvoll Sand in das Wasser und schaute zu, wie ihre Gesichtszüge sich in den Wellenringen allmählich auflösten, erfüllt nur von dem einen Wunsch, ein anderer Mensch zu sein, die Tochter anderer Eltern, in einem anderen Leben.
    Leise erzitterte die
Victoria regia
in ihrem Teich. Unberührt von Emilys Schmerz, unberührt von allem Leid der Welt, trieb dieKönigin der Seerosen in dem warmen Wasser, prachtvoll und träge in der Fülle ihrer Majestät. Zwischen zwei radgroßen Blättern, aufgetaucht aus dem schwarzen Teich wie eine Frucht der Unterwelt, glänzte ihre prall gefüllte Knospe. Vor dieser Blume hatte Emily schon als Kind mit ihrem Vater gesessen und gestaunt. Die Erinnerung erfüllte sie gleichzeitig mit Wehmut und Zorn. Wie sehr hatte sie ihren Vater bewundert, jedes Wort von seinen Lippen hatte sie in sich aufgesogen … Und jetzt? Sie nahm einen Teller von Coles Service, das auf einem Teewagen neben dem Becken stand, und warf ihn so heftig zu Boden, dass er in tausend Scherben zersprang.
    »Leben! Leben!«
    Aufgeregt flatterte der Kakadu auf seine Stange, und während er sein Gefieder putzte, glotzte er mit blöden Augen auf Emily herab. Trug sie Mitschuld an dem Verbrechen, das dieser Mensch und ihre Eltern ins Werk gesetzt hatten? Die Knospe der Seerose begann zu zucken, vielleicht würde sie noch in dieser Nacht aufspringen. Plötzlich war Emily wieder das kleine Mädchen, das sie einmal gewesen war, und zusammen mit ihrem Vater saß sie an dem Teich und wartete auf das Wunder. »Alle Lebewesen, ob Tiere oder Pflanzen, haben nur ein Ziel: Sie wollen leben und sich weiterentwickeln. Dabei verdrängen die Großen die Kleinen, die Starken die Schwachen. Doch wenn das Starke das Schwache besiegt, wie das Leben in der Pflanze die Knospe, entsteht Großes und Schönes.« Wie groß und schön war ihr diese Lehre erschienen. Sie hatte daran geglaubt wie an die Lehre der Heiligen Schrift. Aber das war nicht die ganze Wahrheit, die ganze Wahrheit hatte eine böse, dunkle Kehrseite, die sie viele Jahre lang nicht gesehen hatte, vielleicht nicht hatte sehen wollen, obwohl ihr Vater sie nicht einmal vor ihr verborgen hatte. »Keine zwei Arten, die sich auf dieselbe Weise ernähren, können in ein und demselben Lebensraum miteinander auskommen. Deshalb ist das Leben ein ewiger Kampf, und nur die Tüchtigsten können darin überleben. Das ist das Gesetz, der Wille des ewigenSchöpfergottes.« Galten diese Worte jetzt der kranken Mrs. Cole? Sollten sie als Rechtfertigung dienen, einen Menschen für tot zu erklären, bevor Gott ihn zu sich gerufen hatte? Emily schauderte. Sie musste an ihr Gespräch mit Victor denken, das sie vor Monaten geführt hatten, an seine seltsame Geschichte von den Kuchenessern und Steckrübenessern. Damals war ihr schon einmal, für einen kurzen Augenblick, eine dunkle Ahnung gekommen, welche zerstörerischen Kräfte in den Lehren ihres Vaters womöglich steckten. Obwohl es in dem Treibhaus drückend warm war, schlang sie die Arme um ihren Leib.
    »Railway! Railway!«
    Verstört blickte sie hinauf in die dunkle Kuppel. Der

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