Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)
Augen sofort Anzeichen der Ermüdung erkennen. Ihre Lider sanken von allein herab. Die kühle Luft, die unter den Blättern herrschte, und der Duft seltener Pflanzen sorgten dafür, dass ihr bereits erschöpfter Körper sich nicht mehr regte. Wie ein Kind kämpfte sie ein paar Sekunden lang gegen den Schlaf an und musste dann aufgeben.
Andin ließ sich nicht weit von ihr entfernt nieder. Sie konnte so stark sein– und doch so zerbrechlich.
Auf der Lichtung war es wieder ruhig geworden: Der Lärm der Katratten war nicht mehr zu hören. Aber sie waren nicht allesamt losgelaufen. Drei kleine Dämonen glitten lautlos durchs Gras, um die vier Aecliven zu erreichen, die auf dem Boden liegen geblieben waren. Sie kreischten all ihre Wut heraus, als Andin aufstand, um die Früchte an sich zu nehmen.
Die Krallen ausgefahren und bereit zu beißen, drohten die Katratten den Rüpel anzuspringen, der es wagte, sich zu nehmen, was sie hinterlistig hatten stehlen wollen. Aber der junge Mann war weit davon entfernt, sich Gedanken um ihr angriffslustiges Auftreten zu machen und ignorierte es sogar, um von ihnen im Austausch gegen das Versprechen einer stattlichen Anzahl von Aecliven einen neuen Dienst zu verlangen. Damit sie auch gehorchten, zog Andin das Hemd aus, legte die vier Früchte, die den Siegespreis für das Wettrennen bildeten, hinein und knotete alles an seinen Gürtel. Das zu stehlen, würde nicht leicht sein, während es den kleinen Katratten wie ein Kinderspiel vorkommen würde, in aller Ruhe zu suchen, was er verlangte. Sie schienen das zumindest für einfacher zu halten, als bis zur Erschöpfung jämmerlich nach den Früchten an den Ästen des Aeclivenbaums zu springen, denn sie verschwanden.
Erneut herrschte Stille. Einige Minuten später war ein Rascheln zu vernehmen. Andin glaubte erst, eine Katratte würde zurückkehren, um ihn anzugreifen. Aber es war ein ganz winziges, samtiges Wesen, das zwischen den Blumen hindurchschlüpfte, um eines der kleinen Bächlein in der Nähe zu erreichen. Andin, der sich aufgesetzt hatte, rührte sich nicht und beobachtete das seltsame Tier.
Eine Kugel aus rotem Fell, an der ein buschiger Schwanz saß, trug eine nackte, längliche Schnauze, die spitz zulief. Sie war an ihrem äußersten Ende von einer winzigen Nase geschmückt. Es war das erste Säugetier außer den Katratten, das Andin in den Dunklen Wäldern sah. Besorgt, sogar ängstlich, setzte das niedliche kleine Tier seinen Weg mit einer Reihe kleiner Schritte fort. Als ob es eine Gefahr vorausahnte, hob es mehrfach den Kopf, während es seinen Durst löschte. Andin hielt den Atem an; nur seine Augen bewegten sich. Das Tier war sicher nicht an den Geruch von Menschen gewohnt– warum sonst hätte es so nervös wirken sollen?
Die Antwort war ebenso grausam wie alltäglich: Eine Katratte, die sich zwischen Farnwedeln versteckt hatte, schoss mit einem wilden Raubtierschrei daraus hervor und riss ihre Beute mithilfe kräftiger, furchterregender Kiefer in zwei Teile. Andin hatte gar nicht die Zeit, mit der Wimper zu zucken, denn eine gewaltige Masse stürzte sich ihrerseits auf die Katratte, packte sie im Nacken und brach ihr mit einem Ruck das Genick. San betrachtete sein Opfer befriedigt: Der Wolf hatte gerade seine erste Katratte erlegt.
Aber plötzlich hob er die Lefzen in einem Ausdruck vollkommenen Abscheus und zog die Zungenspitze zurück, als sei ihm übel: Das kleine Tier– halb Katze, halb Ratte– konnte seinem Geschmack nicht so recht entsprechen. San stieß ein Wimmern aus. Er entfernte sich von der Katratte und näherte sich mit eingekniffenem Schwanz Elea.
Andin hatte Lust zu lachen, aber der Wolf war immer noch empfindlich und warf ihm aus seinen schräg stehenden Augen einen funkelnden Blick zu. Er zeigte bald wieder das majestätische, einschüchternde Auftreten, das den Wölfen all die bösen Legenden eingetragen hatte. Andin lächelte über die Geschichten, die das Tier wie einen Herrn des Bösen erscheinen ließen. Musste man nicht reichlich dumm sein, um daran zu glauben, wenn man San vor sich sah? Als Beschützer, aber zugleich wild und verschlossen, wachte der Wolf über Elea. Und trotz seiner Spiele mit dem jungen Mann blieb er in seiner Gegenwart immer argwöhnisch.
Andin hätte sich ihm gern genähert und ihn gestreichelt, aber man hätte San nicht wie einen Hund behandeln dürfen. Der Wolf musste Elea viel schulden, wenn er das Risiko einging, sich dem Vergleich mit seinen elenden, gezähmten
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