Die Rebellin
der Graf nicht einmal ein Billet schickte. Wahrscheinlich will er nichts Schriftliches, was mich mit ihm in Verbindung bringt, dachte sie grimmig. Er ist eben ein Diplomat. Aber warum hat er dann keine Hemmungen, sich mit mir in der Öffentlichkeit zu zeigen? Sie wandte sich an Stefano.
»Sag mir noch schnell, wie du diesem Selim entkommen bist. Über den Rest reden wir später.«
»Mithilfe von einer seiner Frauen. Sie hat mich befreit und mir dabei noch gesagt, Selim wisse zum Glück nicht, dass es ihre Schuld wäre, dass der grüne Kasten verschwunden sei. Aber sie wolle noch mehr Rache. Sie hatte nämlich gerade eine Tochter geboren und aus Wut darüber, dass es ein Mädchen war, hat Selim das Kind vor ihren Augen wie ein Kätzchen ertränkt.«
Mando schüttelte sich und Vassiliki wunderte sich, dass ihre Kräuter schon wieder nicht gewirkt hatten.
»Selim der Grausame«, flüsterte Mando und dachte an ihre eigene Tochter.
Vassiliki hatte andere Sorgen. Stefano musste schleunigst verschwinden, ehe er noch mehr Unheil anrichtete. Er hatte schon viel zu viel gesagt. Es dauerte sie, dass Mando in zwei Tagen vergeblich auf Kapodistrias warten würde, aber in der Eile war ihr zur Ablenkung nichts anderes eingefallen.
Poppy wurde sofort gerufen, um Mandos fliederfarbenes Kleid auszubessern und ihm eine modische Note zu verleihen. Vassiliki hatte Jorgo gebeten im Laufe des Abends heftig an die Tür zu klopfen. Der junge Zimmermann war der Dienerin so dankbar für ihre Hilfe, dass er ohne zu zögern bereit war den Wunsch Vassilikis zu erfüllen. Er klopfte in jenem Augenblick, als Mando gerade die befürchtete Frage stellte: »Wie hast du eigentlich den grünen Kasten aus Selims Palast in Jannina gestohlen, Vassiliki?«
»Moment!«
Die Dienerin rannte zur Haustür und kehrte kurz danach mit kreidebleichem Gesicht zurück. Ihre Vogelaugen schienen in alle Richtungen zu blicken, als sie Mando am Arm packte.
»Du musst sofort nach Mykonos! Das war ein Bote, deine Mutter ist schwer krank!«
»Unmöglich!«, rief Mando. »Gerade jetzt, wo ich wieder gesellschaftsfähig werde!«
Vassiliki zwang sich ihren Triumph zu verbergen. Wie gut sie doch ihr Püppchen kannte!
»Stefano soll fahren!«, rief Mando. Ihr Bruder hatte sich in das einzige freie Zimmer verzogen.
Vassiliki eilte ihm die schlechte Botschaft zu überbringen.
»Bei meiner Mutter suchen sie mich als Erstes«, wehrte er sich, als er wenig später zu Mando ins Zimmer trat.
»Wieso?«, fragte Mando eisig. »Auch in Jannina wird man wissen, dass du dich bei ihr seit Vaters Tod nicht hast blicken lassen.«
»Fahr du!«, bat er.
»Ich? Ich habe mich die letzten Jahre um Mutter gekümmert. Jetzt bist du dran.«
Ein Blick in seine irren Augen und Zakarati wird sofort wieder einen Lebensinhalt haben, dachte Vassiliki.
Aristoteles Vlachos sorgte dafür, dass Mando an jenem Abend weder an ihre Mutter noch an den grünen Kasten dachte. Der kleine Anwalt hatte seine Stirn in Sorgenfalten gelegt, als er ihr das Ergebnis der ersten Eingabe vorlegte. Er war gerade vom Areopag in Argos zurückgekommen und sah schwarz.
»Ohne den vorehelichen Vertrag wird es sehr, sehr schwierig werden, Prinz Ypsilanti zur Rechenschaft zu ziehen«, klagte er. Der gegnerische Anwalt wisse weder etwas von diesem Vertrag noch von einer Verlobung, ganz zu schweigen von einem gebrochenen Verlöbnis.
»Aber es war allgemein bekannt, dass wir verlobt waren!«, rief Mando. »Hätte ich sonst in seinem Haus gewohnt?«
Vlachos bat um Namen, damit er Zeugen berufen könne.
Nachdem er die Namen sämtlicher führender griechischer Politiker und Offiziere aufgeschrieben hatte, wiegte er bedenklich das Haupt.
»Die kann ich nicht so einfach laden«, flüsterte er.
»Natürlich können Sie das!«, fuhr Mando auf. »Sie sind mein Anwalt und kämpfen um mein Recht! Schließlich halte ich meine Seite unseres Vertrags auch ein. Oder schmeckt Ihnen unser Essen nicht?«
Es sah wirklich nicht gut aus für Mando. Der Einzige, der in dieser Sache bereit war zu ihren Gunsten auszusagen, war Admiral Miaulis, aber Dimitris Anwalt schaffte es, den hochdekorierten Admiral als unglaubwürdig hinzustellen. Dem ehrenwerten Offizier wäre alles recht, um die griechische Regierung, die Ypsilanti zum Feldmarschall benannt habe, in Misskredit zu bringen. Miaulis, der zu diesem Zeitpunkt mit den unzufriedenen Inselbürgern von Hydra über einen Putsch gegen Kapodistrias nachdachte, machte einen Rückzieher. Es
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