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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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alles geblieben?
    »Du voran, Mando«, sang sie den alten Schlachtruf, als sie sich der Hütte näherte.
    Überrascht blieb sie stehen. Sie hatte erwartet ihr altes Liebesnest halb verfallen und von verwilderten Ranken überwuchert vorzufinden. Stattdessen erblickte sie einen relativ gepflegten Gemüsegarten und eine offensichtlich frisch geweißte Hütte. Das einzige Fenster verfügte jetzt sogar über zwei blau gestrichene Fensterläden.
    Sie war enttäuscht.
    Marcus musste Land und Gebäude an den Bauern zurückgegeben haben. Wahrscheinlich übernachtete der Mann manchmal dort, wenn er seine Tiere auf den Hängen von Kalo Livadi weiden ließ.
    Mando schlug mit der Hand gegen die Tür. Marcus hätte die Hütte niederreißen sollen! Unerträglich, dass der kleine Raum durch einen anderen Menschen entweiht wurde! Aber der Bürgermeister von Paros hatte natürlich anderes zu tun, als sich über eine bescheidene Hütte im mykoniatischen Kalo Livadi den Kopf zu zerbrechen.
    Die Tür hatte nachgegeben und sich einen Spalt geöffnet. Mit dem Fuß stieß Mando sie ganz auf und blieb starr vor Staunen stehen.
    Das Bett stand da wie immer, etwas Sand war in die Hütte geweht, ein paar Käfer krabbelten umher und in den Ecken gingen Spinnen ihrer Beschäftigung nach. Im Kamin befanden sich noch Spuren eines Feuers und in der Wandnische lag neben der Öllampe ein kleines ledergebundenes Büchlein. Es glitt ihr aus der Hand, als sie danach griff und fiel aufgeschlagen auf den Boden. Sie hob es auf, und ihr Blick fiel auf die überaus vertrauten Worte:
    »Und doch in deinem Leid, wie bist du schön,
Verschwund'ner Götter, toter Helden Land;
Es künden grünes Tal und schneebedeckte Höh'n,
Dass die Natur als ihren Liebling dich erkannt …«
    Tränen stürzten ihr aus den Augen, als sie sich auf das Bett fallen ließ. Es war das Buch, das sie einst Marcus geschenkt hatte. Konnte es sein, dass … Nein, sie dachte den Gedanken nicht zu Ende. Er war auf Paros, verheiratet, wahrscheinlich Familienvater, ein wichtiges Glied der Gemeinde und hätte schon deshalb überhaupt keine Zeit sich ein solches Refugium in Mykonos zu erhalten. Er hatte das Buch einfach hier vergessen und der Bauer hatte es aus Respekt vor dem gedruckten Wort liegen lassen.
    Sie wischte sich die Augen, trat wieder vor die Tür und sah erst jetzt die beiden Olivenbäume, die neben der Steinbank standen. Sie waren noch jung, höchstens drei Jahre alt, aber diese Bäume würden sie, Marcus und Lambrini überdauern.
    Vielleicht hat Marcus sie ja gepflanzt, dachte sie, zur Erinnerung an unsere Liebe. Die beiden Bäume sind wir, Philemon und Baucis, die den Göttern Gastfreundschaft gewähren. Wir haben zwar nicht Zeus und Hermes, dafür aber Amor und Cupido bewirtet, und damals waren sie uns günstig gesinnt. Bei den griechischen Göttern waren Liebesbeziehungen unter Verwandten schließlich ganz normal.
    Sie blickte vorbei an Naxos zu der Stelle, wo sich ein Zipfel von Paros erahnen ließ.
    »Marcus!«, brüllte sie so laut sie konnte.
    Ihr Wellen, tragt meine Stimme hinüber zu ihm, dachte sie, Wind, tue deine Arbeit, lass ihn mich noch einmal hören!
    Es würde eine Neumondnacht werden, also brauchte sie mit den Yaludes nicht zu rechnen. Trotzdem ging sie hinunter an den Strand, zog sich den langen Rock aus und rannte nur mit Hemd und langer Unterhose bekleidet über den Strand. Egal, wenn jetzt der Bauer käme. Sie brauchte das Gefühl von Freiheit und im Laufen löste sie sich die Haare.
    Sie war – eine alte Jungfer, würde ihre Mutter sagen – beinahe Mitte dreißig, aber sie fühlte sich genauso jung wie damals auf dem Treppenabsatz in Irinis Haus auf Tinos, als Marcus sie zum ersten Mal an jener Stelle berührt hatte, die noch niemand zuvor angefasst hatte. Die Erinnerung ließ sie wohlig erschauern. Vielleicht sollte sie die alte Gewohnheit wieder aufnehmen, nachts mit den Händen zwischen den Beinen einzuschlafen. Einen Mann würde es in ihrem Leben wohl nie wieder geben.
    Erst gegen Einbruch der Dämmerung bestieg sie den Esel und kehrte nach Mykonos-Stadt zurück. Wenigstens habe ich einen Ort auf der Welt, wo ich mich wohl fühle, dachte sie, wenn nur der Bauer nie da ist, wenn ich komme! Ich könnte das Kreuz meines Vaters verkaufen und dafür Land und Hütte erwerben, überlegte sie. Sie begann zu lachen, bis Tränen auf den Rücken des Esels tropften.
    Die Frau, die in der ganzen Welt als die Heldin von Mykonos bekannt geworden war und in

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