Die Rebellin
deutlich zu verstehen waren, jagten ihr mehr als nur einen Schauer über den Rücken. Danach konnte sie nichts mehr hören, weil sie nur noch daran denken konnte, was diese Meldung für sie bedeutete.
»Ali Pascha ist tot!«, sagte Pappas Mavros mit einer gewissen Traurigkeit. Er dachte an den ›Löwen von Jannina‹, der seinen Hof Tepelenë mit einer gewissen barbarischen Eleganz geführt, die Reichen ausgeraubt, die Armen geschützt und ausgebildet hatte. Ali Pascha hatte die griechische Kultur in Ehren gehalten und ihr in Jannina ein Zentrum gegeben. Er hatte weise regiert, kluge Männer gefördert und dem alten Hellas mehr Ehre gemacht, als alle Griechen seiner Zeit zusammengenommen. Pappas Mavros hielt ihn sogar im weitesten Sinne für einen Christen, auch wenn er ein Mörder, ein Barbar gewesen war. Er zuckte mit den Achseln: »Ich kann ihm meinen Respekt nicht versagen und finde es einen Jammer, dass ihn gedungene Mörder des Sultans enthauptet haben – in einem griechischen Kloster!«
Mando konnte darauf zunächst nichts sagen. Ali Pascha war für sie nie Wirklichkeit gewesen, sondern eine Figur wie aus dem Märchenbuch. »Wer hat ihn verraten?«, fragte sie dann, weil sie sich nichts anderes vorstellen konnte.
»Eine seiner Geliebten oder sein Sohn Selim«, sagte Pappas Mavros nur und blickte überrascht auf, als er ein dumpfes Geräusch vor der Tür vernahm.
»Was war das?«, fragte Mando, rannte zur Tür und riss sie auf.
Sie fand Vassiliki schluchzend auf dem Boden liegen.
»Um Gottes willen, was ist mit dir passiert?«, fragte sie die Dienerin.
»Gefallen«, weinte Vassiliki, »ich bin die Treppe hinuntergefallen.«
Am 20. März begann die Tragödie. Sultan Mahmud II. schickte seinen Admiral Kara Ali nach Chios, weil er nicht zulassen konnte, dass die Griechen von Samos aus versuchten die Insel der Osmanenherrschaft zu entreißen. Chios lag zu nah am türkischen Festland, als dass irgendwelche so genannten Befreiungsaktionen erlaubt wären. Da außerdem Ali Pascha endgültig beseitigt worden war, konnte sich der Türkenherrscher jetzt ausschließlich auf die rebellierenden Griechen konzentrieren. Sie waren erheblich lästiger, als er zunächst angenommen hatte. Dieser so genannten Erhebung vor den Toren der Türkei musste also schnellstens ein Ende bereitet werden.
Am Gründonnerstag des Jahres 1822 legte um drei Uhr nachmittags eine türkische Armada in Chios an. Ungehindert gingen die Mannschaften der zweiundzwanzig Kriegsschiffe von Bord und fielen in die Dörfer ein. Sie raubten, brandschatzten, mordeten und ließen keinen Zweifel daran, wer im osmanischen Reich regierte. Mit den paar Schiffen, die den Griechen aus der Rebellenhochburg Hydra zur Hilfe kamen, machten die Türken kurzen Prozess. Wer auf Chios ein Boot hatte, versuchte zu fliehen.
Mando wachte am Ostersamstag von einem unerträglichen Lärm auf, der von der Straße bis zu ihr hinauf ins Schlafzimmer drang.
»Was ist los?«, fragte sie Vassiliki, als diese ins Zimmer kam, um Mando das Frühstück zu bringen und die Vorhänge zur Seite zu schieben.
»Chios«, sagte die Dienerin nur.
Mando setzte sich auf.
»Was erwartest du, mein Osterlämmchen,«, fuhr Vassiliki fort, »wenn fünfhundert abgerissene Figuren aus Chios auf Mykonos landen?«
Mando fegte das Frühstückstablett vom Bett und begann sich hastig anzuziehen.
»Willst du dich nicht erst waschen?«, fragte Vassiliki vorwurfsvoll.
Marcus, dachte Mando, ich muss sofort mit Marcus sprechen, er wird wissen, was dies zu bedeuten hat. Sie fand ihren Cousin am Hafen, wo er mit einigen Männern aus Chios gestenreich diskutierte. Er winkte sie zu sich.
»Wir berufen sofort eine Versammlung der Ältesten ein«, sagte er aufgeregt. »Chios benötigt dringend Hilfe, sonst ist die Insel verloren.«
Ein alter Mann neben ihm öffnete den Mund. Fasziniert starrte Mando auf den prominenten gelben Zahn, der einzige, der ihm in einem langen Leben geblieben war. »Chios wird geopfert«, nuschelte der Mann, »niemand ist daran interessiert, unsere Insel zu retten.«
»Das wollen wir doch sehen!«, fuhr Mando auf und wandte sich an Marcus: »Ich rede heute Abend. Sieh zu, dass so viele wie möglich kommen werden.«
Er unterdrückte den Wunsch ihr das Gesicht zu streicheln und sie auf die Augenlider zu küssen. Warum leben wir nicht in friedlicheren Zeiten, dachte er verzagt. Wir sind im Ausland aufgewachsen und dort ausgebildet worden, unsere Familien sind nobel, reich und
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