Die Rebellion
werden, wenn das überhaupt möglich war. Rauhreif bildete
sich auf Haaren und Bärten, und die Nässe von geschmolzenem
Schnee drang in die teuren Kleider. Jeder fror, und einige zitterten gewaltig. Schwejksam konnte spüren, wie die Kälte an
seinen Knochen nagte, obwohl die Heizelemente seines Anzugs inzwischen mit Höchstleistung arbeiteten. Seine Nase und
Ohren schmerzten, und er spürte, wie sich in den Augenwinkeln kleine Eiskristalle bildeten. Stelmach zitterte, als hätte er
eine kleine Rüttelmaschine eingebaut. Nur Frost ließ sich
nichts anmerken. Die Höflinge drängten sich auf der Suche
nach Schutz und Körperwärme dicht zusammen, doch sie hielten sich weiterhin vorsichtig von Schwejksam, Frost und Stelmach entfernt. Sie erkannten Aussätzige, wenn sie welche sahen. Inzwischen waren alle Gespräche verstummt, und man
konzentrierte sich mehr darauf, Löwensteins neuesten derben
Scherz zu überleben. Alle waren sich darin einig, daß es ein
schwarzer Tag für das Imperium und ganz besonders den Hofstaat gewesen war, als die Imperatorin beschloß, einen Sinn für
Humor zu entwickeln.
Fremdartige Schatten schälten sich aus dem Nebel, große
Schollen massiven Eises, die aus dem Schnee aufragten wie der
winzige Teil eines Eisbergs, den man über Wasser zu Gesicht
bekommt. Der Schnee wirbelte um die Eisblöcke herum, als
würde er von den glitzernden Flächen angezogen. Die Strukturen aus Eis bildeten einen ungefähren Halbkreis, der sich einladend zu den Höflingen hin öffnete, und dort, am anderen Ende
der umschlossenen Fläche, stand der Eiserne Thron, hoch erhoben auf einem gewaltigen Podest aus Eis. Und auf diesem
Podest, auf dem uralten Thron aus Schwarzem Eisen und Jade,
saß die Imperatorin Löwenstein XIV und beobachtete gelassen,
wie die Höflinge stolpernd näher kamen.
Löwenstein war in dichte Pelze gehüllt wie eine antike
Stammesfürstin, das bleiche Gesicht kalt und klar wie das der
legendären Eisprinzessin, die den Menschen die Seelen gestohlen hatte, indem sie ihre Herzen und Augen mit Eiszapfen
durchbohrte. Löwenstein besaß ein markantes Gesicht mit einem breiten Mund und leuchtend blauen Augen, die kälter
wirkten, als einfaches Eis jemals sein konnte. Sie war schön,
doch auch ihre Schönheit strahlte Kälte aus. Die gleiche Kälte
wie der große Diamant auf ihrem Kopf. Die Imperatorin, verehrt und angebetet, deren Launen Gesetz waren und auf deren
bloßen Wink hin Menschen starben und Welten verbrannten.
Auch Eiserne Hexe genannt.
Löwenstein XIV saß lässig auf dem Eisernen Thron und beobachtete mit sardonischem Grinsen, wie die Höflinge mit gesenkten Köpfen heranschlichen und schließlich in einer demütigen, untertänigen Haltung verharrten, während sie auf Löwensteins Erlaubnis warteten, sich wieder aufzurichten. Jeder
wußte, daß sie den Hof an schlechten Tagen stundenlang in
dieser Haltung verharren ließ, bis jeder Rücken schmerzte und
auch das letzte Auge tränte. Doch heute entließ sie ihre Untertanen bereits nach wenigen Sekunden aus der demütigen Verbeugung. Entweder war sie ausgesprochen guter Laune – oder
sie konnte nicht erwarten, was als nächstes kommen würde.
Die Höflinge gaben sich die allergrößte Mühe, freundlich, respektvoll und äußerst loyal dreinzublicken, während das Lächeln Ihrer Majestät über sie hinwegglitt.
Sie hatten in respektvoller Entfernung vom Podest haltgemacht, nicht nur wegen der zwanzig schwer bewaffneten
Leibwächter, die hinter dem Thron standen, sondern auch und
vor allem wegen der zehn ›Jungfrauen‹, die sich zu Löwensteins Füßen zusammengekauert hatten und böse knurrten. Sie
waren Löwensteins Dienerinnen und persönliche Garde, und
jede einzelne von ihnen war tödlich. Sie waren nackt, doch sie
spürten die Kälte nicht. Die Dienerinnen spürten überhaupt
nichts, wenn die Imperatorin es nicht gestattete. Hirntechs hatten ihre schmutzigen Finger in die Köpfe der jungen Frauen
gesteckt und alles ausgelöscht bis auf bedingungslose Hingabe
an die Herrscherin. Sie würden ohne Zögern sterben, um Löwenstein zu schützen, und jeden töten, der sich ohne Erlaubnis
näherte. Je nachdem. Sie waren mutige, tödliche Kämpferinnen, und jede trug ein ganzes Arsenal von implantierten, versteckten Waffen. Ihre Finger besaßen stählerne Krallen. Die
Dienerinnen schwiegen, weil sie keine Zungen besaßen, und
sie erlebten die Welt durch kybernetische Sinne. Jetzt kauerten
sie sich
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