Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
außerhalb der Gesellschaft.«
Schon deshalb ist es völlig irrwitzig, zu hoffen oder zu befürchten, die Unterschicht könne eine grundlegende Umwälzung der Gesellschaft in Richtung soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde initiieren oder gar anführen. In bislang keiner Revolution, schon gar nicht einer angeblich »sozialistischen«, spielte die Unterschicht eine andere Rolle als die einer »Volk« oder »Proletariat« genannten idealisierten Ikone. Es erinnert an die Zeiten, wo Frauen ohne Erlaubnis des Mannes weder Auto fahren oder studieren noch einen Beruf ausüben oder eine Schrankwand kaufen durften, sie aber verbal als »Madonna« oder »Hausherrin« verklärt wurden. Noch heute sagen ja besonders tyrannische Männer: »Meine Frau hat bei uns die Hosen an.«
Als Hartz IV eingeführt wurde, beobachtete der Politologe Wolfgang Kraushaar, »dass es für die Betroffenen enorm schwierig war, Proteste zu organisieren … wir haben es heute mit einer Art Klassenspaltung im Protestverhalten zu tun. Während die Exponenten der Mittelschichten ihre Anliegen immer effektiver einbringen, misslingt das den Unterschichten. Die Wurzel davon ist Resignation. Armut führt zu Vereinzelung und Resignation.« [612]
Deshalb ist das Problem Hartz IV noch lange nicht ausgestanden, besser: mit Zynismus ausgesessen. So sollte am 1 . Januar 2011 die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuregelung der Regelsätze in Kraft treten – sie scheiterte Ende 2010 im Bundesrat –, die Heribert Prantl als »fast eine Attrappe« bezeichnet: »Viel Schleifen, viel Papier – aber wenig Inhalt.« Die Regierung habe die fünf Euro, die die Hartz- IV -Empfänger jetzt mehr erhalten sollten, »weiter in der Hand gedreht« und »über den Tisch gerollt«.
Es sei ein »bitterer Witz«, ein verfassungswidriges Gesetz durch ein ebenso verfassungswidriges zu ersetzen. »Das Gesetz ist unzureichend und es ist miserabel formuliert … Die überlasteten Sozialgerichte können sich auf noch mehr Lasten einstellen.« [613] Am 25 . Februar 2011 beschloss der Bundesrat endlich die an Dummdreistigkeit kaum zu überbietenden Neuregelungen: Rückwirkend zum 1 . Januar wurde der Regelsatz für die etwa 4 , 7 Millionen Hartz- IV -Empfänger um fünf auf 364 Euro erhöht – weniger als vermutlich manch Volksvertreter pro Luxusabendessen der Klofrau an Trinkgeld gibt. Anfang 2012 soll die Summe um weitere drei Euro steigen. Zudem erhalten die rund 2 , 5 Millionen armen Kinder Leistungen aus einem »Bildungspaket« von 1 , 6 Milliarden Euro – zur Begleichung der Zockerschulden der Banken (»Rettungsschirm«) ließ der Staat fast tausendmal so viel springen.
Für 1 , 2 Millionen Beschäftigte in drei Branchen soll es in Zukunft Mindestlöhne geben. Während Ursula von der Leyen das Stümperwerk als »Allianz der Vernünftigen« lobte und die SPD -Verhandlungsführerin, Ypsilanti-Verschnitt Manuela Schwesig, entsprechend der Karnevalszeit den »guten Kompromiss vor allem im Sinne der bedürftigen Kinder« quasi mit einem »dreifach Helau« bedachte, kündigten Linke und Grüne bereits den Gang zum Bundesverfassungsgericht an. Und selbst Ex- SPD -Boss Kurt Beck äußerte Zweifel, ob die Karlsruher diese schwarz-rote Mixtur aus Aprilscherz und Unverschämtheit durchwinken werden. [614]
Vom Bummelstreik zur inneren Kündigung
Als Mittel des Arbeitskampfes ist der »Dienst nach Vorschrift« besonders beliebt zum Unterlaufen des Streikverbots im öffentlichen Dienst. Zwar erklärte der Bundesgerichtshof im Januar 1978 den legendären Bummelstreik der Fluglotsen von 1973 für rechtswidrig, [615] dennoch kann einem Staatsdiener, der sich ohne viel Aufhebens stur an Recht, Gesetz und Arbeitsvertrag hält, kaum etwas passieren: Wie lange dauert eine gewissenhafte Prüfung einer Steuererklärung, die Erteilung einer Baugenehmigung, das Feststellen von Pfändbarem durch den Gerichtsvollzieher? Wie gründlich muss ein Zollbeamter Autos nach Schmuggelgut durchsuchen? [616]
Ähnliches gilt in der Privatwirtschaft. Ein Unternehmer käme mit der Behauptung, »Herr Lehmann arbeitet langsamer, als er könnte«, vor keinem deutschen Arbeitsgericht durch. andererseits hat der Arbeitgeber eine ganze Klaviatur schwer nachweisbarer Schikanemöglichkeiten zur Verfügung, vor allem in Zeiten befristeter Arbeitsverträge und großzügiger Auslegung des Begriffs »zumutbar«. Entscheidend aber ist, dass ein solcher verdeckter Arbeitskampf wohl nicht gerade die
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