Die Rebenprinzessin
Katzenburg beobachtete vom Fenster seiner Gemächer aus, wie der Stallmeister die Braunen zu dem schweren Gefährt führte. Die Tiere wirkten ein wenig störrisch, fast so, als befürchteten sie, zum Schlachter gebracht zu werden. Offenbar wittern sie den Starrsinn, der in mein Haus Einzug gehalten hat, und nehmen ihn selbst an, ging es dem Grafen durch den Sinn.
Die ganze Nacht über hatte ihn ein bohrender Zorn wach gehalten. Allerdings hatte er nicht genau gewusst, wem seine Gefühle galten. Bella, die sich mit aller Kraft dagegen sträubte, Roland von Hohenstein zu heiraten? Dem Fürsten? Oder dem Burschen, mit dem er gekämpft hatte?
Angesichts des zerrissenen Kleides war klar, dass einer von den beiden seine Tochter hatte schänden wollen. Nur wer? Der Bursche, den Bella augenscheinlich in Schutz nahm? Oder der Adlige, der eigentlich ein Ehrenmann sein sollte?
Sein väterlicher Instinkt riet dem Grafen, auf seine Tochter zu hören, doch all die Jahre ihrer Abwesenheit hatten ihn zweifeln lassen. Konnte er überhaupt wissen, zu was für einer Frau seine Tochter geworden war? Vielleicht hatte sie ja den Burschen verführt!
Der Morgen war schließlich angebrochen, ohne dass er zu einem Ergebnis gekommen war.
Roland von Hohenstein war verärgert und zog nun wahrscheinlich sein Angebot, Bella zu heiraten, für immer zurück. Wenn wirklich etwas daran war, dass sich der Bursche mit ihr hatte im Heu wälzen wollen, würde er obendrein alles tun, um sie in Misskredit zu bringen – und damit auch ihre gesamte Familie.
Eine Katastrophe!
Rudolph von Katzenburg schloss die Augen. Ich muss jetzt an den Wein denken. Ich muss daran denken, so viel Schaden wie möglich von uns abzuwenden. Vielleicht schaffe ich es, bei der Segnung den Anfang zu machen …
Eigentlich hätte er Bella gern noch länger in ihrer Kemenate schmoren lassen, aber es machte sicher keinen guten Eindruck, wenn sie bei der Segnung des Weins nicht dabei war. Damit hätte er den anderen, die vielleicht schon bald von dem Vorfall erfuhren, nur gezeigt, dass er davon überzeugt war, Bella habe eine Verfehlung begangen. Egal, wie es in Wirklichkeit gewesen war, jetzt mussten sie Einigkeit demonstrieren.
Sobald er angekleidet war, strebte er den Gemächern seiner Tochter zu. Als er die Tür der Kemenate öffnete, durchzog ihn ein siedend heißer Schrecken. Das Bett war leer!
»Wo ist meine Tochter?«, fuhr er den Wächter an, der ihn verdutzt anstarrte.
»Aber Euer Gnaden, ist sie nicht …«
»Nein, sie ist nicht hier, du Dummkopf!« Der Graf versetzte seinem Untergebenen einen groben Stoß, dann rannte er los.
Unzählige Schreckensszenarien kamen dem Grafen in den Sinn. Seine Tochter konnte geflohen sein oder sich das Leben genommen haben. Bei ihrem impulsiven Temperament hielt er nichts für ausgeschlossen.
Wie von einer Hummel gebissen hetzte Rudolph von Katzenburg erst eine Treppe hinunter, dann eine weitere, bog in einen Gang ein und gelangte schließlich ins Freie. Ein paar Knechte, die ein Fass über den Hof rollten, sprangen erschrocken aus dem Weg. Hühner suchten vor seinen Füßen gackernd das Weite, und einem kleinen Mischlingshund, der nicht schnell genug war, verpasste der Graf einen unabsichtlichen Tritt. Jaulend verzog sich das Tier in den Schatten.
Während der ganzen Zeit raste sein Herz, als wollte es gleich zerspringen. Fieberhaft überlegte der Graf, wohin Bella gegangen sein könnte. Die Torwachen hätten gewiss bemerkt, wenn sie die Burg verlassen hätte. Doch dann fiel ihm wieder die kleine Pforte ein. Jene Pforte, die er einst hatte einrichten lassen, damit seine Gemahlin es nicht so weit zum Weinberg hatte und ihn nach Herzenslust betrachten konnte, auch wenn ihre Gesundheit nicht die beste war.
Bella kannte die Pforte nur zu gut und hatte sie bereits mehrmals genutzt, um der Burg zu entschlüpfen.
Auf halbem Wege zum Tor bog er ab und stürmte an den erstaunt dreinblickenden Knechten vorbei.
»Was glotzt ihr so? An die Arbeit!«, erscholl hinter ihm Bernhard Wackernagels Stimme, aber dass sich die Knechte sofort trollten, bekam der Graf nicht mehr mit.
Er rannte weiter, passierte die kleine Pforte und erklomm einen Stein, von dem aus er den gesamten Weinberg im Blick hatte. Das Herz schlug ihm bis zur Kehle, die Adern an seinem Hals spannten sich wie Seile. Inmitten der Weinblätter erblickte er schließlich einen braunen Haarschopf. Das Gesicht war ihm abgewandt und blickte direkt in die
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