Die Rebenprinzessin
Morgensonne.
»Bella!«
Ihr Name kam ihm nur als Flüstern über die Lippen, aber die Erleichterung, die er verspürte, war unendlich. Die Angst, dass sie fortgelaufen oder ihr etwas zugestoßen sein könnte, war unerträglich gewesen. Umso ärgerlicher wurde der Graf allerdings im nächsten Moment, als er bemerkte, dass sie ihn nur genarrt hatte.
Na warte, dachte er. Wenn du erst einmal verheiratet bist, werden dir solche Flausen ausgetrieben. Dann fiel ihm jedoch wieder ein, dass es momentan gar keinen Bräutigam gab. Ob Roland von Hohenstein noch einmal um ihre Hand anhalten würde, war fraglich, und andere …
Rudolph von Katzenburg seufzte, dann verhärtete sich seine Miene wieder. Rasch kletterte er von dem Stein herunter und lief zu seiner Tochter.
Bella hörte ihren Vater nicht kommen. Zu versunken war sie in ihre Gedanken, die sich nur darum drehten, wo Martin abgeblieben sein könnte. Hatte er über den Fluss gesetzt und war auf dem Weg in jene anderen Länder, in denen es ebenfalls Weinberge gab? Zu gern wäre sie mit ihm gegangen!
Nachdem Bella seit der dritten Stunde wieder wach gelegen hatte, hatte sie beschlossen, dass sie sich zumindest den Anblick des Weinbergs nicht nehmen lassen wollte.
Sie hatte das Laken aus ihrem Bett gezogen und noch ein weiteres hervorgeholt, das in der Truhe vor dem Bett lag. Die beiden Tücher hatte sie verknotet und dann am Fensterkreuz befestigt. Da zu solch früher Stunde noch niemand wach war, hatte auch niemand ihre Flucht bemerkt.
Vielleicht hatte mittlerweile einer der Bediensteten die Laken bemerkt, die wie ein weißes Banner aus dem Fenster hingen. Aber die Stunden der Ruhe inmitten des Weinbergs hatte sie genießen können.
Damit war es nun von einem zum anderen Moment vorbei.
»Bella!«, ertönte die Stimme ihres Vaters neben ihr, und für einen Moment meinte sie, Besorgnis herauszuhören.
Als sie die Augen aufschlug und zur Seite blickte, sah sie jedoch nichts anderes als dieselben harten Züge wie vergangene Nacht.
»Vater«, gab sie emotionslos zurück und wappnete sich innerlich gegen eine neuerliche Schimpftirade. Immerhin hatte sie sich aus dem Zimmer geschlichen – ja sie hatte sogar den Mut besessen, aus dem Fenster zu steigen.
»Ich habe dich überall gesucht«, entgegnete der Graf kühl.
Wahrscheinlich wolltest du nachsehen, ob ich immer noch in meinen Gemächern bin, dachte Bella, sprach den Gedanken allerdings nicht aus. »Ich wollte nur ein wenig frische Luft schnappen«, entgegnete sie stattdessen, ohne die Absicht zu haben, sich für ihren Ausbruch zu entschuldigen.
Der Graf betrachtete seine Tochter nur schweigend, die jedoch erwiderte seinen Blick nicht, sondern starrte an ihm vorbei auf das Weinlaub.
»Du wirst dich jetzt umziehen. Wir reisen heute nach Koblenz zur Segnung des Weins.«
»Wie du willst, Vater.«
Bella wandte sich um und vernahm ein leises Seufzen. Für einen Moment glaubte sie, dass ihr Vater zu einer Erklärung ansetzen wollte – oder zu einer Entschuldigung. Doch beides blieb aus. Als sie zur Burg zurückkehrte, schloss sich ihr der Graf schweigend an.
Wieder in ihrer Kemenate, erwartete sie ein kreidebleicher Bewacher. Er hatte mittlerweile das Laken wieder eingeholt, mit dem ihr die Flucht gelungen war.
Was wäre, wenn ich mich wirklich aus dem Staub gemacht hätte? Hätte Vater mir dann seine Leute hinterhergehetzt?, fragte sie sich.
Der Graf warf dem Wächter einen wütenden Blick zu. »Ich habe dir doch gesagt, dass du auf sie achtgeben sollst«, hörte Bella ihn den Mann anschreien, als sie schnell ins Gemach schlüpfte. »Du wirst ab sofort ständig kontrollieren, ob meine Tochter da ist, hast du das verstanden? Entkommt sie noch einmal, kannst du dich nach einem anderen Herrn umsehen, der dich unter Sold nimmt!«
»Ja, Herr.«
Bella rechnete damit, dass ihr Vater ihr ebenfalls eine Predigt halten würde, stattdessen schloss er nur die Tür hinter ihr ab. Der Graf gab dem Soldaten noch ein paar Anweisungen, dann verschwand er.
Die junge Frau blickte auf ihr Kleid. Es war wieder das rot-grüne, in dem der Weinfleck immer noch auszumachen war. Sicher würden die Mägde gleich erscheinen, um ihr beim Ankleiden zu helfen. Doch bis dahin blickte sie aus dem Fenster und hoffte, dass ihre Gedanken Martin erreichten – egal, wo er gerade war.
Wütend schleuderte Roland von Hohenstein den schlichten Zinnbecher von sich. Das Gefäß traf auf der Wand auf, und der restliche Inhalt ergoss sich
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