Die rechte Hand Gottes
Kohle- und Holzhändler stammte.
»Übrigens, mein lieber Pibrac, unsere Gesellschaft empfängt am nächsten Sonntag den verdienstvollen Professor Marguerite. Er wird einen Vortrag zu dem Thema Ist das Bedürfnis nach Ruhe dem Menschen natürlicher als das Bedürfnis nach Freiheit? halten. Gesellen Sie sich doch zu uns, ich rechne auf Ihren Besuch.«
Doktor Beaulouis, der Präsident und Begründer der Gesellschaft der »Freunde der guten alten Zeit«, bereitete eifrig die bevorstehenden Wahlen vor und war fest entschlossen, diesmal den »widerspruchsvollen« und »gottlosen« Boutefeux, vormals Baron von Bellerocaille, der die Stadt in die Hungersnot führte, aus dem Rathaus zu vertreiben.
War das das Ende der Vorurteile? Auf alle Fälle ein Köder, sagte sich Léon, als er den Wassergraben der Burg und den Turm hinter sich ließ, in dem der Vorfahr und Begründer ihres Geschlechts eingesperrt gewesen war. Als Kind war sein Vater Hippolyte oft mit ihm zu den Ruinen der Burg gegangen, und jeder Spaziergang endete unweigerlich mit einer Besichtigung des Turms. Dort hatte sich ehemals der Kerker des Lehnsherren befunden, in dem der erste der ihren in Ketten gelegen hatte.
»Sieh es dir an, Léon, sieh es dir an«, sagte Hippolyte jedesmal. »Durch diese Schießscharte hat er den Dolmen und die Kreuzung des jüngsten Gerichts gesehen.«
»Gab es damals den Wald Vergogne denn noch nicht?«
»Nein, den haben Sie erst unter dem Vierten angepflanzt, damit man uns von der Stadt aus nicht mehr sehen mußte.«
Durch das westliche Stadttor, das verschont geblieben war, als man die Befestigungsmauern abgerissen hatte, damit die Stadt sich weiter ausdehnen konnte, erreichte er die Pont-Vieux. Er überquerte sie und folgte eine Weile der alten Straße, die nicht mehr benutzt wurde, seit man stromaufwärts die Pont de la Republique gebaut hatte. Dann bog er ab und gelangte in das Wäldchen Vergogne. Bald konnte er durch die Ulmenstämme hindurch die Umrisse des Dolmen erkennen.
Die Revolution hatte zwar die Galgenbalken und die Estrade für Pranger und Galgen ebenso wie die Schenken und die Andenkenhändler verschwinden lassen, doch das Herrenhaus des Scharfrichters stand noch immer, im Schutz seiner hohen, mit Partisanenklingen bewehrten Mauer.
Léon verließ den Wald, fuhr um den von Gänseblümchen und hohem Gras umwucherten Dolmen herum und lenkte sein Pferd auf den schmalen Pfad, der zu dem großen Steintor führte. Über dem Tor prangten das Familienwappen und die stolze Inschrift: »Gott und wir allein richten.« Rötliche Tradeskantien rankten sich in den Fugen der rosafarbenen Sandsteinblöcke empor, es waren dieselben, die man für den Bau der Kathedrale von Rodez verwendet hatte.
Er stieg ab und öffnete einen der schweren Torflügel. Schon jetzt fürchtete er die Anspielungen auf die Abwesenheit von Hortense an einem Tag wie diesem. Vor ihm lag das hufeisenförmig gebaute Herrenhaus, das von zwei runden, mit Zinnen bewehrten Türmen flankiert wurde.
Die von der Stadt abgewandte Fassade hatte große Fenster, die auf den weitläufigen gepflasterten Hof und den Park zeigten. In der Ferne sah man inmitten einer Baumgruppe die romanische Kapelle, darunter lag die Krypta, in der die bronzenen Grabfiguren der Vorfahren ruhten. Die von Justinien dem Ersten, dem Vorfahren und Begründer ihres Geschlechts, und seiner geliebten Frau Guillaumette waren aneinandergekettet.
Er nahm sein Pferd am Zügel und ging durch das Tor, das den Südturm mit dem linken Flügel des Herrenhauses verband. Es war ein langgestreckter, mit Schieferplatten gedeckter Bau, der in einen Pferdestall, einen Heuschober und einen Schuppen für die Kutschen unterteilt war. Hinzu kam ein weiterer Schuppen, in dem sämtliche Hinrichtungs- und Folterwerkzeuge untergebracht waren, unter anderem auch die »Mechanische« von Justinien III., die auseinandergenommen und sorgfältig in Truhen verstaut war. Der rechte Flügel beherbergte den Kuhstall, den Heuboden, den Hühnerstall, den Kaninchenstall und - durch eine Trennwand abgeteilt - Verschläge für die Schweine Victor und Hugo.
Als Léon in den großen, gepflasterten Hof trat, sah er seinen Vater Hippolyte, seinen jüngeren Bruder Henri, den alten Henkersknecht Casimir und die Brüder Lambert, Teilpächter des Anwesens, die gerade dabei waren, den alten Armeekrankenwagen aus dem Wagenschuppen zu holen. Hippolyte hatte ihn 1868 von der Intendantur der 122. Stellung gekauft und ihn äußerst
Weitere Kostenlose Bücher