Die rechte Hand Gottes
ihn ja, ich muß ihn sofort verständigen. Er weiß, was jetzt zu tun ist.«
Erschüttert ging er auf den Ausgang zu. Warum, bei allen Heiligen, hatten die Banditen auch das Kind nicht verschont?
Ohne vorher zur Bäckerei zurückzugehen, hielt Léon einen Kutscher an, der zwar das Gesicht verzog, als er ihn sah, dann jedoch die Fahrt annahm. Eine halbe Stunde später erreichte Léon das Herrenhaus. Seine Mutter bereitete, wie jeden Dienstag, in ihrem alten verzinkten Kupfertopf auf kleiner Flamme eine Salbe. Casimir stopfte seine Socken, die die zu langen Fußnägel durchlöchert hatten, und Hippolyte arbeitete in der Bibliothek an einem Entwurf für eine Abhandlung über die Kreuzigung.
Die Nachricht erschütterte sie zutiefst. Hippolytes Knie zitterten, und Léon mußte ihn stützen und zu einem Stuhl führen. Casimir weinte und knirschte mit den Zähnen, und Berthe vergaß ihr Feuer, so daß die Salbe zu kochen begann und verdorben war.
Hippolyte faßte sich als erster und wies die anderen an:
» Ihr beide spannt Taillevent vor den Landauer«, befahl er Léon und Casimir. » Und du, Berthe, bereite uns Proviant für zwei Tage vor. Wir müssen herausfinden, was mit Adèle und Saturnin geschehen ist.«
Während jeder schweigend seiner Arbeit nachging, nahm er den Mannlicher, den ihm Otto Gutmann, der Scharfrichter von München, letztes Jahr geschenkt hatte, und begann das Magazin zu laden. Griffu wedelte mit dem Schwanz, um seine Freude zu zeigen: Er liebte die Jagd.
Als alles fertig war, schloß Hippolyte das Wehrgehenk seiner zehnschüssigen Lefaucheux und stieg mit Griffu und seinen Waffen in den Landauer. Mit seinem doppelläufigen Gewehr bewaffnet, setzte sich Casimir neben Léon, der die Zügel hielt. Berthe öffnete die Torflügel, und der Landauer verließ das Herrenhaus. Léon lenkte den Wagen in Richtung Bellerocaille.
Hippolyte steckte den Kopf zum Fenster heraus und rief: »Was machst du denn? Nimm die Straße nach Rodez!«
Sein schwarzer, zusammengebundener Haarschopf flatterte im Wind.
»Wollen Sie sich nicht zuerst die Leichen in der Gendarmerie ansehen?«
»Wozu? Sie sind tot. Kümmern wir uns zunächst um die, die vielleich noch am Leben sind.«
Sie überholten den Müller Halsdorf, der gerade noch Zeit hatte, in den Straßengraben zu springen, um nicht von dem schwarz-roten Landauer umgerissen zu werden, der mit voller Geschwindigkeit über die Straße jagte.
»Léon lenkte den Wagen, der mit verhängten Zügeln dahinschoß, und neben ihm habe ich Casimir gesehen, der bis an die Zähne bewaffnet war. Pibrac saß im Inneren des Landauers, und ich kann euch sagen, daß er nicht besonders freundlich aussah«, erzählte der Müller später einer aufmerksamen Zuhörerschaft.
Als sie an der Stelle ankamen, die man im Volksmund »La Pierre-Creuse«, den hohlen Stein, nannte - es handelte sich um eine große Felsplatte, unter der Generationen von Reisenden und Pilgern Schutz gefunden hatten -, folgte Léon den Angaben der Schnittholzsäger und lenkte Taillevent auf einen Waldweg, der von Dornen und Brennesseln gesäumt war.
Nach etwa tausend Metern kamen sie an eine Lichtung, auf der eine teilweise zerstörte und von Pflanzen umwucherte Köhlerei stand. Die Hütte, in der sie die Leichen gefunden hatten, lag am Waldrand. Die Zweige und das Blattwerk waren noch grün und zeugten ebenso wie das frische Stroh im Innern davon, daß sich hier erst vor kurzem mehrere Personen aufgehalten hatten. Léon erzitterte, als er die Steine und die Asche der Feuerstelle sah, auf der die Banditen Henris und Antoines Fußsohlen versengt hatten.
»Ich verstehe nicht, warum sie sich an dem Kleinen vergriffen haben «, fragte er sich, und vor seinen Augen tauchten wieder die verstümmelten Körper unter der Plane auf.
»Vielleicht hatte Henri noch Zeit, seine Börse zu verstecken, und sie wollten ihn zwingen, das Versteck preiszugeben«, mutmaßte Casimir, der den gestampften Lehmboden nach irgendwelchen Spuren absuchte.
»Vielleicht haben sie sie gefoltert, weil sie wußten, daß sie zur Familie Pibrac gehörten? « sagte Léon düster und wandte sich an seinen Vater. »Vielleicht haben Sie früher einmal einen ihrer Verwandten oder Freunde geköpft?«
Hippolyte schüttelte verneinend den Kopf.
»Nein. Adèle trug die Börse bei sich. Zerstreut wie er war, hätte Henri sie verloren, ehe sie Rodez erreicht hätten. Ich weiß, daß sie sie in einer Tasche verborgen hatte, die sie eigens zu diesem Zweck ins
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