Die Regentin (German Edition)
ihrem neuen Rang zu hadern, sondern ihn für ihren Zweck zu nutzen, sich gegenüber der gewonnenen Macht nicht blind zu stellen oder sie gar für ihre Rache zu gebrauchen, sondern sie für ihre Interessen einzusetzen.
Sie warf Chlodwig, der neben ihr auf dem Thron saß, einen vorsichtigen Seitenblick zu. Die engsten Getreuen – Ebroin war darunter, Erchinoald nicht, weil er immer noch am Sarg des totenWeibes Wache hielt – hatten ihn gestern zum Hochzeitsgemach geleitet, wo sie ihn bleich und müde erwartet hatte.
Sie wusste nicht, was ihn zur Schonung veranlasste – Leutsindas Tod oder das schlechte Gewissen, weil er sie nicht hatte heimkehren lassen. In jedem Falle berührte er sie nicht, sondern sprach milde Worte: Dass sie sich nicht vor ihm zu ängstigen hätte. Dass er ihr Zeit geben wollte, sich an das neue Leben zu gewöhnen.
Sie blickte ihn verwirrt an. Sie ängstigte sich nicht vor ihm. Was sie am stärksten in seiner Gegenwart fühlte, war Ohnmacht – in jenem Augenblick gesät, da er ihre Reise unterbrechen hatte lassen. Sie dachte nicht, dass sich daran was ändern würde, ganz gleich, ob er sich nun ihren Leib aneignete oder nicht.
Dennoch tröstete sie die Rücksichtnahme, die er bekundete. Sie verneigte sich vor ihm, zum Zeichen, dass sie ihm für seine Geduld dankte, doch da war er bereits entschwunden.
Nun hatte sie mehr Zeit, ihn zu mustern. Indes sie starr und aufrecht saß, schien er in seinem Stuhl zu hängen, als hielte ihn lediglich die Lehne aufrecht, jedoch keine Knochen. Zum ersten Mal ging ihr auf, dass das, was sein Leben ausmachte – zu empfangen, zu begrüßen, zu repräsentieren –, ihn unendlich ermüdete, weil es nie etwas Neues verhieß und nie anderes verlangte, als sich der vorgegebenen Zeremonie zu fügen.
Vielleicht, ging ihr kurz durch den Kopf, vielleicht kennt er die Ohnmacht, nichts gegen die eigene Bestimmung tun zu können, selbst am besten? Vielleicht hat er sie mir auferlegt, um seinesgleichen an der Seite zu haben, denn ob nun Sklavin oder nicht, in jedem Fall bin ich eine, die sich Gesetzen fügen muss, ohne sie bestimmen zu können.
»Sag, mein König«, raunte sie unwillkürlich. »Sag, mein König... es sind der Gesichter zu viele, die ich da erschaue und die ich nicht erkenne. Groß ist das Land, zahlreich die großen Sippen, desgleichen sämtliche Ämter bei Hof. Willst du mir nicht helfen, mich hier zurechtzufinden?«
Chlodwigs Miene lichtete sich merklich. Es war das erste Mal seit ihrer vermaledeiten Heimkehr, dass sie freiwillig etwas zu ihm sagte und obendrein verkündete, das neue Leben erforschen zu wollen.
Ein Ruck ging durch seinen Leib, als er sich aufrichtete, um sich ihr zuzuneigen und um fortan die Zeremonie nicht schläfrig über sich ergehen zu lassen, sondern sie zu kommentieren. Flüsternd verriet er die Namen und die Herkunft der adeligen Familien und ihre Geschichte, und in jenen Pausen, da sich die Gäste nach letzter Verbeugung verabschiedeten und neue in den Saal geleitet wurden, stellte er ihr die Beamten vor, die sich rund um sie versammelt hatten und die wichtigsten Hofämter innehatten.
Da war der Thesaurius, der Schatzmeister, der über den Kronschatz wachte und gemeinsam mit dem Cubicularius die Finanzen regelte, darunter auch die Buchführung über die Steuern.
Dann gab es den Referendarius, den obersten Beamten der Königskanzlei, der den Siegelring verwahrte und schriftliche Erlasse damit beglaubigte – unterstützt von den Notaren, die die Urkunden schrieben.
Der Rector palatii, der Lenker des Palastes, und der Camerarius, der Kammermeister, waren zuständig für die Hofhaltung an den verschiedenen Königspfalzen. Und die Legaten waren diejenigen, die die Nachrichten überbrachten.
Zuerst lauschte Bathildis aufmerksam, dann ermüdete sie rasch ob der vielen Titel und Namen. Zudem wurde sie abgelenkt, als Leudesius den Saal betrat, Erchinoalds und Leutsindas Sohn, der weder den verkniffenen Mund von Itta noch die Schwatzsucht von Gertrude hatte, sondern blondgelockt war und scheu lächelte.
Bathildis hatte ihn zuvor noch nicht gesehen. Wiewohl ihm ob der Eltern nicht gerade wohlgesonnen, nahmen das weiche Gesicht und das blonde Haar sie für ihn ein. Es hat dieselbe Farbe wie das von Aidan, ging ihr durch den Kopf. Sie lächelteherzlich – was der rotäugige Ebroin mit einem Stirnrunzeln quittierte, wo doch Leudesius sein Rivale war; der König freilich sah es mit einem beglückten Seufzen.
»Ich habe Euch die
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