Die Regentin (German Edition)
rief Bathildis, erleichtert, dass sie nicht länger mit Ebroin zu reden hatte. »Was machst du für ein entsetztes Gesicht?«
Das Mädchen war beinahe so bleich wie der Rotäugige.
Sie beugte sich über ihre Schultern und seufzte ihr ins Ohr:»O, meine Königin! Nicht will ich dir das Fest verderben. Doch eben komme ich von meiner Mutter. Hast du bemerkt, dass sie nicht in unserer Mitte weilt?«
Nach Leutsinda zu suchen war gewiss das Letzte, was Bathildis an diesem Tage zu tun begehrte.
»Es ist... o, es ist ein grauenhafter Anblick«, murmelte Gertrude, und ihre Stimme klang ungewöhnlich rau und tief. »Und doch, ich wünschte, du würdest ihn dir nicht ersparen. Sie verlangt nach dir. Sie will dich sehen...«
Der Gestank nach Blut hing im Gemach wie eine schwere, schwarze Wolke. Es war kein befremdender Anblick, den Leutsinda da von sich bot. Man wusste sie seit vielen Jahren am Blutfluss leiden. Doch die Augen traten heute riesiger als sonst aus dem gelben Gesicht; dessen dünne Haut legte sich wie rissiger Papyrus um sämtliche Knochen, und ihr Kiefer glich dem eines Totenschädels. Es ging ohne Zweifel zu Ende mit ihr.
Das hatte auch Gertrude zu Bathildis gesagt: Dass die Mutter die Nacht gewiss nicht überleben würde.
Bathildis wusste nicht, was davon zu halten war, dass Leutsinda sie in ihrer Todesstunde sehen wollte. Als Anlass, um der Feier zu entkommen, kam ihr der Besuch bei ihr gerade recht – doch war von dem bösartigen Weib tatsächlich anderes zu erwarten als weitere Flüche? War es vorstellbar, dass sie die zur Königin aufgestiegene Sklavin um Vergebung bitten würde?
Bathildis wartete eine Weile, ehe sie sich vom Fest zurückzog. Den Gästen ward angedeutet, dass sie sich für die Nacht bereiten wollte, doch ihre Schritte – leichtfüßiger nun, sie hatte die schmerzenden Schuhe abgeworfen – führten sie nicht in ihr Gemach, sondern zur sterbenden Gattin des Major Domus Erchinoald.
Hier gab Bathildis vor, ob des Blutgeruchs die Nase zu rümpfen. In Wahrheit störte sie sich nicht daran. Viel besser passten die Ausdünstungen einer Siechenden zu jenem Tag als all dieDuftwässerchen der Hochzeitsgäste. War es nicht auch ihr Todestag – starb sie nicht langsam und schmerzvoll, da sie an den König gefesselt war und dieses verfluchte, fremde Land niemals wieder verlassen durfte?
Das Ächzen, das aus Leutsindas Mund fuhr, war wie das Klagen ihrer eigenen Seele, das offensichtliche Leiden irgendwie ehrlich.
Leutsinda plagte sich lange, bis sie die ersten Worte sagen konnte.
»Ich... ich trage keine Schuld«, setzte sie schließlich an.
Bathildis musste sich niederbeugen, um sie zu verstehen. Sie war allein mit ihr, nachdem Gertrude – der Bitte der Mutter Folge leistend – alle anderen, selbst den betenden Mönch, aufgefordert hatte, das Gemach zu verlassen.
»Was meinst du?«, Bathildis richtete sich wieder auf, um dem vom Tod gezeichneten Gesicht nicht zu nahe zu kommen. »Und ob du die Schuld trägst an dem, was mir hier widerfahren ist! Du hast keine Rücksicht auf meine Herkunft genommen! Du hast mich zur Sklavin gemacht! Was willst du jetzt von mir? Schämst du dich in diesem Augenblick dafür – da ich als Braut des Königs zu dir komme?«
Leutsinda stierte sie an. Die Augen glichen aufgequollenen Pflaumen. »Das meine ich nicht... ich meine den zu engen Schuh... es war Ittas Idee, nicht meine.«
Bathildis lachte bitter auf. Sie hätte beschwören können, dass die Tochter die gemeine Tat nicht ohne das Wissen der Mutter geplant hatte. »Du nutzt den Rest an Worten, den zu sprechen dir verblieben ist, um deine Tochter zu verraten? Das ist schändlich, Leutsinda!«
Leutsinda versuchte sich zu erheben. Ein wenig verrutschte das Wollhemd, das sie trug, und zeigte ihren erschlafften Hals und die knochige Brust.
»Straf sie nicht... auch wenn du nun die Macht dazu hast. Itta war ein zartes Kind, das viel geweint hat. Dass sie so gewordenist... so herzlos, so kalt und stets so mürrisch... ist allein ihres Vaters Schuld.«
»Und die deine«, entgegnete Bathildis grimmig. »Nie hab ich erlebt, dass du Erchinoald nicht mit Zank verfolgt hättest.«
Leutsinda keuchte. Vielleicht war es auch der Versuch zu lachen.
»Du hattest doch auch keine Freundlichkeit für ihn übrig, oder?«, entgegnete sie. »Und warum hätte ich freundlich zu ihm sein sollen? Ich komme aus bester Familie; meine Vorfahren waren keine Franken, sondern Römer. Mindestens fünf Bischöfe waren darunter
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