Die Regentin (German Edition)
tiefen, ein wenig gebrochenen Blick, der fortan alles begleitete, was sie tat. Nie verlangte dieser Blick, dass sie sich ihm erklärte. Er hinterfragte nicht, warum sie am Leben des Königs nun mehr Anteil nahm, noch die Art und Weise, wie sie es tat. Er schenkte ihr lediglich jenes Maß an Ruhe, dessen sie bedurfte, um sich in eine Aufgabe zu fügen, die ihr anfangs der König auferlegt hatte und die jäh zu ihrer ureigenen wurde, an einem einzigen Tag und in ähnlicher Weise, wie die Begegnung mit Rigunth Bathildis’ Leben gewandelt hatte.
Aus der anfänglichen Gleichgültigkeit, schließlich drängte Chlodwigs Wunsch sie zur Anteilnahme, nicht eigener Wille, und dem späteren Interesse, weil ihr Geist denn doch zu rege war, um sich dumm zu stellen, formte sich an jenem gewissen Tag der festen Wille, die Welt in der sie lebte, zu ändern.
In allen Städten und Orten gab es einen Statthalter, Dux genannt, der – wie ihr Chlodwig einmal erklärte – die Steuern kontrollierte, in Kriegszeiten das Heer zusammenrief und schließlich über die Gerichte waltete.
Stets dann, wenn Chlodwig eine neue Residenz bezog, so ließ er als Erstes den Dux rufen, auf dass jener ihm und dem Major Domus Bericht erstatte über alles, was sich kürzlich in der Regionzugetragen hatte. Es war dies eine förmliche Zeremonie, die der eine auf seinem Thron sitzend zubrachte, der andere steif stehend, und meist war Chlodwig davon so gelangweilt, dass er diese Zusammenkunft bald beendete.
Nur bei einem Dux ward eine Ausnahme gemacht, bei einem gewissen Haymo – einem Franken, welcher weite Ländereien im Westen besaß und ein Nachkomme jenes großen Haymo war, der einst die Friesen zurückgeschlagen. Jene waren vor mehr als fünfzehn Jahren über die Canche gekommen, hatten dort die Häuser verbrannt und viele Einwohner verschleppt, in ähnlicher Weise, wie Bathildis und Aidan es im fernen Britannien hatten erfahren müssen.
Aus Dank für die erfolgreichen Schlachten hatte König Dagobert Haymo dem Älteren große Schenkungen Übermacht, und wohingegen jener stets bestrebt gewesen war, einen guten Teil des irdischen Besitzes zu nutzen, um seinen Lohn im Himmel zu mehren, so scherte sich sein Enkel weniger darum, die Wünsche der Kirche und der Frommen zu erfüllen, sondern viel lieber die seiner Gattin Avita, die auf den großen Besitzungen prächtige Villen im römischen Stil – mit Säulen und Thermen – bauen ließ anstelle neuer Kirchen.
Avita trug den Titel der senatrix, was hieß, dass sie von einem jener römischen Patrizier abstammte, die einst Gallien verwaltet hatten, und gleichwohl sie einen Franken geheiratet hatte und darum selbst als Franca galt, so blickte sie doch heimlich auf die einstigen Barbaren herab.
Ungeachtet ihrer Verschiedenheit teilten die Eheleute freilich ein Ziel: Sich die Gunst des Königs in gleicher Weise zu bewahren, wie ihr Vorfahre sie damals von Nanthilds Gatten Dagobert erlangt hatte. Wohingegen manch andere fränkische Familie den Besuch von Chlodwig fürchtete, weil dies bedeutete, zugleich den riesigen Hofstaat mit zu füttern, waren Haymo und Avita darauf erpicht, ihn einmal jährlich für mehrere Wochen als Gast zu empfangen.
Bathildis konnte sich nicht an frühere Besuche erinnern; wohl weil sie damals schwanger gegangen oder kurz nach der Niederkunft gewesen war, beides gute Gründe, das Bett nicht zu verlassen. In jenem Frühling freilich, und verpflichtet von ihrem Zugeständnis an den König, ihn fortan als ratgebende Gattin zu begleiten, ließ sie sich von Avita durch das reiche Anwesen des Dux führen und musste deren pausenloses Geschwätz ertragen. Offenbar wusste Avita von dem außergewöhnlichen Appetit des Königs und unterstellte der Königin die gleiche Vorliebe, denn sie beschrieb bis ins kleinste Detail das Festmahl, das hernach für die königlichen Gäste bereitet würde.
Avita war ebenso klein wie rundlich, mehr Kugel als Mensch, und schien Bathildis – entgegen der vielen Worte, die sie machte – zu misstrauen: Entweder weil jene so groß gewachsen war, dass Avita den Hals in den schwülstigen Nacken legen musste, um in ihr Gesicht zu sehen, oder weil sich so schwer erahnen ließ, was hinter der hohen Stirne vorging. Man wusste ja auch nicht viel von dieser Bathildis, außer dass sie zum Gesinde des Königs gehört hatte – und dass sie sich meist schweigsam gab, so wie auch jetzt.
Mit der Zeit starrte Avita lieber Rigunth als die Königin an, vermutlich, weil das
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