Die Regentin (German Edition)
Mädchen auf ihrer Augenhöhe war, desgleichen wie sich Bathildis dann und wann des dunklen Blickes vergewisserte, um genügend Ausdauer für die lästige Pflicht aufzubringen. Noch ehe es Mittag war, so fühlte sie sich schon müde und ausgelaugt. O, könnte sie doch in ihrem Gemach sein, o, könnte sie am Fenster stehen wie früher auch, sich im Anblick des Himmels verlieren... und sich die Hände waschen...
Jene fühlten sich schwitzig an. Sie blickte auf die roten Finger, als gehörten sie nicht zu ihr, desgleichen wie sie auf die Worte der Frau lauschte, als gingen sie sie nichts an, sondern flössen nur zufällig an ihr vorbei. Lange ertrug sie sie ausdruckslos – erst als ihr Überdruss zu wachsen begann, runzelte sie leicht die Stirne.
Avitas scharfem Blick entging das nicht.
»Willst du... willst du nicht hören, womit wir heute die Tafel decken werden?«, fragte sie gekränkt.
Bathildis verbat sich ein ungehaltenes Seufzen. »Lieber wäre mir«, warf sie trocken ein, »wenn du mir mehr von dem erzähltest, was sich hier tut. Worüber redet man in den letzten Wochen?«
Die Königin wollte also den neusten Tratsch erfahren. Nun, daran mangelte es gewiss nicht, und prompt berichtete Avita von jenem Ereignis, das in den vergangenen Tagen am meisten betuschelt worden war: Um einen jüdischen Geldverleiher ging es da, der ein Darlehen zurückgefordert hatte, welches er schon vor Monaten gewährt hatte. Doch die Familie, die sich auf das Geschäft mit ihm eingelassen hatte, wollte ihm das Geld nicht wieder geben. Der Jude drohte damit, vor Gericht zu gehen – doch schon am nächsten Tag war er tot in einem Brunnen aufgefunden worden, mit blauen Flecken in seinem Gesicht, die davon zeugten, dass er geschlagen worden war. Freilich war es nicht erwiesen, ob er an den Schlägen gestorben oder ob er im Brunnen ersoffen war, desgleichen wie nicht mit Bestimmtheit zu sagen war, ob seine Schuldner die Gewalttat verbrochen hatten, um das Darlehen zu behalten, oder ob der Unglückselige nur aus Zufall just zu diesem Zeitpunkt ums Leben gekommen war. Zumindest konnte die Familie des Toten keine Schuld beweisen. Da jedoch besagter Brunnen kein öffentlicher gewesen ist, sondern zum Anwesen der Schuldner gehört hat, war schließlich festgelegt worden, dass jene zwar nicht als Mörder anzuklagen waren, jedoch ein Wergeid zu zahlen hatten – genau halb so hoch, wie das Darlehen betragen hatte.
Seitdem wurde darüber diskutiert, ob diese Summe zu hoch oder zu niedrig sei, ob man einem Juden überhaupt Gerechtigkeit schulde, freilich auch, ob solche schlimme Tat es künftig armen Leuten erschwere, ein Darlehen zu erhalten – denn wer würde eins gewähren, wenn ihm dann der Tod drohte?
Bathildis nickte, ohne ihre Meinung zu bekunden. Sie hatte schon zuvor gehört, dass es im Lande Sitte war, sich vom Vorwurf des Mordes freizukaufen. Wiewohl dies ein Verbrechen war, auf das der Tod stand, so ließ die Lex salica doch die Möglichkeit offen, der Familie des Toten Wergeid zu zahlen, sodass diese keine Anklage erhob.
Avita indessen warf ihr von unten einen unschlüssigen Blick zu. War es das gewesen, was die Königin zu wissen begehrte? Sollte sie noch mehr erzählen?
Als sie den Mund öffnete, hob Bathildis die Hand, gewiss, dass sie die kreischend-aufdringliche Stimme nicht länger ertragen würde.
Vielleicht, so schlug sie vor, vielleicht könnte sie nun, da sie die Villa besichtigt hatte, ein wenig von den Ländereien sehen, vor allem, wie die halbfreien Bauern lebten, die Haymos Grund bewirtschafteten?
Noch während sie es sagte, ahnte sie, dass dies keine sonderlich gute Idee war. Das vorstehende Dach schenkte Schatten, außerhalb von diesem wartete jedoch eine grelle Sonne. Und Haymos Besitzungen zu ergründen verhieß, zwar nichts Verbotenes zu tun, aber doch Aufdringliches, denn da Haymo keine Steuern zu bezahlen hatte, ging dessen Reichtum das Königspaar nichts an.
»Ich kann mir nicht denken, meine Königin«, sprach da auch schon die kugelrunde Avita, »dass du ein Bauernhaus betreten willst.«
Obwohl Bathildis ihr insgeheim Recht gab, widersprach sie, freilich ohne genau zu wissen, warum. »Auch Bewohner eines Bauernhauses sind Untertanen des Königs«, erklärte sie forsch.
»Und dienen ihm treu! Darauf achtet mein Gatte! Aber bedenke, meine Königin, dass die Menschen, die dort wohnen, nicht reinlich sind wie du.«
Bathildis wollte zur huldvollen Entgegnung ansetzen. Dasssie sich gewiss nicht daran
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