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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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beugte sich näher zu ihr. Wiewohl sie Rigunths Gesicht fast berühren konnte, nahm sie deren Geruch nicht wahr. Das Mädchen schien niemals zu schwitzen. Unwillkürlich zuckte Bathildis zurück, als wäre es ein Frevel, ihr zu nah zu kommen.
    »Rigunth«, sprach sie leise und griff die Frage jener Stunde wieder auf, da sie das Mädchen erstmals zu sich hatte kommen lassen, »Rigunth... nun, da wir uns länger schon kennen... willst du mir nicht die Geschichte deiner Herkunft erzählen? Willst du mir nun, da du mich näher kennst und keine Angst vor mir zu haben brauchst, nicht sagen, was hinter dir liegt?«
    Die Augenlider flatterten, aber öffneten sich nicht.
    »Ich... ich würde gerne«, sprach das Mädchen, ungewohnt stammelnd, »aber ich kann es nicht. Ich kann es einfach nicht.«
    Bathildis nickte ergeben und wandte sich wieder ihren Schriften zu.
    Rigunth blickte auf.
    »Wenn du vor die Bischöfe trittst, meine Königin«, fragte sie, »was wirst du ihnen dann sagen?«
    »Ich freue mich, dass Ihr in dieser Runde zusammengekommen seid, der Einladung des Königs folgend – und dass Ihr mir die Gnade erweist, vor Euch das Wort zu ergreifen. Es mag Euch anmaßend erscheinen, dass ein Weib dies tut, und doch sei’s mir verziehen, denn was mich treibt, ist nicht das Trachten, mich über meinen Stand zu erheben, sondern dem Allmächtigen zu gefallen – mit jenen bescheidenen Mitteln, die er mir zugesteht.«
    Vorsichtig ließ Bathildis den Blick über die Versammelten schweifen. Ehe sie zu sprechen begonnen hatte, hatte sie ihn gesenkt gehalten – jene Demut vortäuschend, die die Gottesmänner gewiss von einem Weib erwarteten.
    »Erlaubt mir, aus der Heiligen Schrift zu zitieren«, fuhr sie fort und versuchte, den Rhythmus ihrer Rede zu mäßigen. Sorgfältig hatte sie die Worte einstudiert – und eben darum drohten sie aus ihr hervorzubrechen, wenn sie sich nicht mit jeder Silbe befahl, dass sie langsam sprechen müsste. »Kein anderes Wort könnte das, was ich Euch sagen will, trefflicher eröffnen als jenes, welches aus dem Brief des Paulus an die Epheser stammt: Gott ist reich an Barmherzigkeit. Uns, die wir tot waren durch unsere Sünde, hat er lebendig gemacht.«
    Sie kannte die meisten der Bischöfe dem Namen nach; manche hatte sie bei ihrer Hochzeit empfangen, andere zu späteren Anlässen. Vertraut war ihr trotzdem kein einziger, wie sie da saßen – nicht im weltlichen Gewand, das ihnen verboten war, sondern mit der Alba bekleidet, einem weißen Chorgewand, über das das Pluviale, ein Mantel mit Kapuze, geworfen wurde. Sie trugen allesamt kreisrunde Tonsuren wie jeder geweihteMann – ganz gleich ob er einem Kloster entstammte oder mit seinesgleichen in einem eigenen Haus gleich neben der Kirche lebte. Wohingegen diese Frisur bei manch gewöhnlichem Priester jedoch verrottete wie ein Gärtchen, das von Unkraut übersät wird, so waren sie bei den Bischöfen glatt, rund und wie das übrige Haar ebenmäßig geschnitten, desgleichen wie die Tonsuren ihrer Begleiter – die Subdiakone, die sie auf Reisen begleiteten, oder die Lektoren, die zur Erbauung aus der Bibel oder aus Heiligenviten vorlasen. Letztere, nicht von der Würde eines Amtes gefestigt (oder schlichtweg von einem gut genährten Leib ruhig gestellt), blickten Bathildis mit unverhohlener Neugierde an, manche auch mit Misstrauen und wieder andere mit jenem hochmütigen Lächeln, das vorgab, ihre Worte gern zu hören, was nicht gleich hieß, dass man sie auch ernst nehmen müsste. In jedem Falle war es für sie ungewöhnlich, dass Bathildis nach dem üblichen Empfang durch den König – Chlodwig nickte zu diesem Anlass meist widerspruchslos ab, was sie ihm vortrugen – mit ihnen eine Unterredung halten wollte.
    »Nun«, fuhr sie fort, und ihre Stimme, bislang bescheiden, wurde schneidend: »Nun, diese Barmherzigkeit, die uns überreich vom Allmächtigen geschenkt wird, scheint mir ein knappes Gut auf Erden, wenn ich den Blick auf jenes Unrecht lenke, das unsere Lande überzieht wie eine Seuche, schlimmer noch als die Lepra, schlimmer noch als die Pest.«
    Erstmals ließ sie sich von der eigenen Erregung mitreißen, antatt sie wohl zu dosieren – und erntete alsbald nicht nur ausdruckslose und gelangweilte Gesichter, sondern ein Raunen, das sich in tiefem Brummen oder spitzem Zischen entlud und kurz den ganzen Saal ausfüllte, unter dessen dunklen Bogen sie sich versammelt hatten.
    Trotz der Unruhe, die sie zeugte und die sie selbst befiel,

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