Die Regentin (German Edition)
vermochte Bathildis zu warten, bis das letzte Tuscheln wieder verklungen war, um in das Schweigen hinein bedeutungsvoll fortzufahren: »Ich sage schlimmer, denn diese Krankheit mordetnicht Leiber... sie mordet Seelen, jene Seelen, die uns zum einzigartigen Menschen machen.«
Wieder brandete Tuscheln auf, diesmal jedoch nicht wahllos. Einer der Bischöfe, der ihr am nächsten saß, stellte jene Frage, die alle bewegte: »Meine Königin, von welcher Seuche sprichst du?«
»Ich spreche davon«, entgegnete sie rasch und zittrig, »dass jeder Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen ist und ihm durch die Taufe ein unauslöschliches Siegel aufgedrückt ist, das ihn dem Volke Gottes einverleibt, und in diesem Volke Gottes – so schreibt es der Apostel Paulus an die Galater – gibt es nicht länger den Unterschied zwischen Mann und Weib, Juden und Griechen, Sklaven und Freien, weil alle eins sind in Christus.«
»Und was willst du uns damit sagen?«
Sie neigte sich vor, um ihren Worten noch mehr Gewicht zu geben, und ließ erneut den Blick schweifen, eindringlich diesmal, als wollte sie überprüfen, ob ihr tatsächlich sämtliche Aufmerksamkeit gehörte.
»Die Seuche, die ich meine«, sagte sie schließlich, »die Krankheit, die ausgerottet werden muss – das ist, und darum habe ich Euch kommen lassen, die Sklaverei. Schwerste Sünde ist die Sitte, wonach ein Mensch dem anderen gehört, mit Leib und Seele, ganz und gar, wonach er dessen Willen unterliegt, ob jener nun ein Gerechter ist oder ein Sünder. Unter den Kindern Gottes darf so etwas nicht erlaubt sein. Es darf nicht sein, dass Christen Christen versklaven!«
Sie atmete heftig aus, erleichtert, dass es nun endlich gesagt war. Sie hatte diesen Augenblick gescheut – wiewohl sie ihn für unabdingbar hielt.
Diesmal dauerte es noch länger, bis das Getuschel abebbte – es deuchte Bathildis überrascht und verwirrt, jedoch nicht feindselig oder ärgerlich. Wohlwollend erklang auch wieder die Stimme des Bischofs, der ihr am nächsten saß.
»Bedauerlich ist jedes Unrecht, das auf Erden geschieht.Dagegen zu wettern ist die Pflicht eines jeden Christenmenschen!«
»Und darum«, rief Bathildis hitzig, »lasst uns die Stimme gemeinsam dagegen erheben!«
Begütigend hob der Bischof die Hand, ein schmales Lächeln auf den Lippen, das vor allem eines bekunden sollte: Dass er gewohnt war, für alle seine Worte sämtliche Zeit der Welt zu haben, und sich darum von ihr nicht drängen lassen wollte. »Doch bedenkt: Das Reich Gottes wird immer mit dem Reich des Satans zu kämpfen haben; so ist’s, seitdem durch Eva die Sünde in die Welt kam. Wir können manche Träne vergießen über das traurige Los der Unfreien, aber es ist doch, wie der Heilige Augustinus schreibt, ein sichtbares Zeichen der Erbsünde, ein sichtbares Zeichen, dass diese Welt noch nicht vollendet ist. Erst am Tag der Tage, wenn Christus wiederkommt, dann wird es kein Unrecht mehr geben, die Tauben werden hören können, die Blinden sehen, die Lahmen gehen – und der Löwe wird friedlich mit dem Lamm auf der Weide stehen.«
Er klang salbungsvoll und endigte wie nach einem Gebet.
»Und bis zu diesem Tag sollen wir ertragen, dass Menschen wie lebendiges Handwerkszeug behandelt werden?«, fragte Bathildis heftig. »Dass getaufte Christen zum Preis eines Pferdes verschachert werden?«
»Es ist dies keine Sünde«, kam es nun von ganz hinten im Saal. »Der Herr hat es niemals verboten, und der Apostel Paulus, von dem du vorhin sprachest, er sagte selbst im Brief an die Korinther: Unusquisque in qua vocatione vocatus est in ea permaneat. Servus vocatus es non sit tibi curae sed et si potes liber fieri magis utere.«
Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat. Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; auch wenn du frei werden kannst, lebe lieber als Sklave weiter.
Bathildis konnte das Gesicht des Redners nicht recht erkennen,doch reichte die Stimme, um zu erahnen, dass sie einem gehörte, der sich ungern Vorhalten ließ, etwas nur mangelhaft zu wissen. Er sprach seine Worte, als hebe er damit einen schützenden Schild, der ausreichend erprobt war, um jedem Pfeilregen standzuhalten. Beinahe klang es triumphierend, als wäre mit einer einzigen Bibelstelle alles gesagt.
»Es mag keine Sünde sein – was nicht auch heißt, es wäre gut«, entgegnete Bathildis forsch und hielt seinem Wissen das ihre entgegen. »Gott mag uns kein Gebot genannt haben,
Weitere Kostenlose Bücher